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Plötzlich nicht mehr da
Aus 10 vor 10 vom 18.05.2020.
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Kindesentführung im Wallis Wie eine Mutter ihre Kinder nach Algerien verschleppte

Seit dem 30. Oktober 2019 sind Enzo (9) und Denisa (7) verschwunden. Ihr letzter Wohnort war Sion. Ihre eigene Mutter verschleppte sie nach Algerien. Es ist das Herkunftsland ihres neuen Lebenspartners.

«Ich möchte meinen Kindern sagen, dass ich sie liebe und hoffe, sie bald wieder in die Arme schliessen zu können.» Francesco Supino ist verzweifelt. Seit sechs Monaten hört er nichts mehr von seiner Tochter Denisa (7) und seinem Sohn Enzo (9).

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Francesco Supino ist verzweifelt
Aus News-Clip vom 18.05.2020.
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Die Kinder wurden Ende Oktober 2019 von der eigenen Mutter entführt. Das zeigen Recherchen von SRF.

«Wohin wurden sie gebracht? Wie geht es ihnen?»

Francesco geht in eines der Kinderzimmer, an der Tür hängt das Bild des 9-jährigen Enzo. «Ich sagte ihm immer, dass ich ihn als Vater beschützen werde, ein ganzes Leben lang.»

Seit einem halben Jahr habe ich nichts mehr von ihm gehört, das zerreisst mir das Herz.
Autor: Francesco Supino Vater von entführten Kindern

«Und jetzt? Wo ist er? Wohin wurde er gebracht? Ich kann mein Versprechen, ihn zu beschützen, nicht mehr einlösen. Seit einem halben Jahr habe ich nichts mehr von ihm gehört, das zerreisst mir das Herz.»

Francesco öffnet das Zimmer seiner 7-jährigen Tochter Denisa. Auch sie ist nicht mehr da. «Sie glaubt noch an den Osterhasen und den Weihnachtsmann.» Er senkt den Blick auf den Boden des Kinderzimmers. Vier Geschenke liegen da, fein säuberlich verpackt, alle mit dem Namen «Denisa» angeschrieben. «Ich hoffe, Denisa kann diese Geschenke irgendwann mal öffnen, das wünsche ich mir für meine Tochter.»

Den autistischen Sohn liess sie zurück

An der Wand hängt ein Bild aus vergangenen Tagen, aus den gemeinsamen Ferien. Denisa und Enzo lachen in die Kamera. Und auch Sorin, das dritte gemeinsame Kind von Francesco und seiner Ex-Frau lächelt für das Foto. Doch ihn liess die Mutter zurück im Wallis. Sorin ist Autist und hat seit sechs Monaten keinen Bruder und keine Schwester mehr.

Bild von einem entführten Kind
Legende: Ein Kind wurde zurückgelassen Die Mutter entführte Enzo und Denisa, den Autisten Sorin (rechts im Bild) liess sie zurück. SRF

Die Mutter nahm sie ihm weg. «Seit der Entführung hat sich Sorin sehr verändert. Vorher war er glücklich und ein aufgestellter Knabe, spielte oft mit seinen Geschwistern. Doch jetzt weint er fast jeden Tag. Er ist wütend und traurig. Es ist für uns alle eine Katastrophe!», so der Vater.

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Francesco Supino kann nicht fassen, was seine Ex-Frau gemacht hat.
Aus News-Clip vom 18.05.2020.
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Vor der Entführung konvertierte die Mutter zum Islam

Supino und seine Frau liessen sich im Frühling 2019 scheiden. Sie haben drei gemeinsame Kinder und das gemeinsame Sorgerecht. Er hat eine neue Partnerin, sie einen neuen Partner – ein Asylsuchender aus Algerien. Nachdem Francescos Ex-Frau mit dem Algerier eine Beziehung begonnen hatte, konvertierte die Schweizer Mutter zum Islam und begann ein Kopftuch zu tragen.

Bild von einer Familie mit zensierten Gesichtern.
Legende: Die Schweizer Mutter zusammen mit ihrem algerischen Lebenspartner und den Kindern Enzo und Denisa. Das Bild entstand vor der Entführung. SRF

Die Untersuchungsdokumente, die SRF einsehen konnte, weisen darauf hin, dass die Entführung der Kinder weit im Voraus geplant wurde und die Mutter eine falsche Fährte legte: Sie informierte zuerst die Schule an ihrem Wohnort in Sion, dass sie Ende 2019 mit den Kindern nach Martigny ziehen würde und gab dort eine Wohnadresse an.

170'000 Euro und eine falsche Fährte

Auch ihrer eigenen Mutter erzählte sie, dass sie nach Martigny ziehen werde und eine Wohnung kaufen will. Doch das Geld dazu hatte sie nicht. Deshalb bittet sie ihre Mutter im Oktober 2019 um einen Erbvorbezug und erhält schliesslich 200'000 Franken. Kurz darauf überweist sie 170'000 Euro nach Annaba, Algerien. Es ist die Geburtsstadt ihres algerischen Freundes und – wie sich später zeigen wird – ihr mutmasslicher Aufenthaltsort.

«10vor10»-Serie «Vermisst, wenn Menschen verschwinden»

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Die Sendung «10vor10» widmet dem Thema vermisste Menschen eine fünfteilige Serie. Vom 18. bis 22. Mai wird in jeder Sendung ein Fall und ein Aspekt zum Thema in den Fokus gerückt.

Es sind dramatische, persönliche und auch hoffnungsvolle Geschichten, die «10vor10»-Reporter Christof Schneider im Rahmen einer mehrwöchigen Recherche realisieren konnte. Neben einer Kindesentführung geht es um die verschwundenen Kinder der 1980er-Jahre, um Jugendliche, die ausreissen, um die Suche nach einer vermissten Mutter und um die Frage, warum es wichtig war, dass der Umweltaktivist Bruno Manser für verschollen erklärt wurde.

Francesco hörte seine Kinder das letzte Mal am 30. Oktober 2019 am Telefon: «Es war ein spezielles Gespräch. Normalerweise sagen wir uns ‹Hallo, wie geht’s, was macht ihr, wie läufts in der Schule?› Doch bei diesem Gespräch klangen die Kinder anders. Ich glaube, sie waren da bereits unterwegs Richtung Algerien». Doch zu diesem Zeitpunkt schöpft er noch keinen Verdacht.

Am selben Tag verabschiedet sich die Schweizer Mutter in Sion von ihrer eigenen Mutter. «Sie sagte, dass sie nun nach Martigny zieht. Sie nahm die Kinder mit und verabschiedete sich mit den Worten ‹bis bald›».

Die Grossmutter der Kinder schöpfte noch keinen Verdacht, auch Francesco nicht.

«Sie zerstörte mein Leben»

Das ändert sich am 4. November: Supino ruft wieder seine Kinder an, doch niemand beantwortet den Anruf, keine Nachricht, nichts. Dann meldet er sich bei der Polizei und äussert den Verdacht, dass die Kinder möglicherweise entführt wurden. Zwei Tage später, am 6. November, ruft die Frau plötzlich ihre Mutter in Sion an: «Sie sagte, dass es den Kindern gut gehe.»

Es ist eine Katastrophe, meine Tochter zerstörte mein Leben.
Autor: Mutter der Entführerin Grossmutter von Enzo, Denisa und Sorin

«Ich konnte mit meinem Enkel Enzo sprechen, doch er konnte nicht sagen, wo sie sind. Vielleicht meinte er, dass sie in die Ferien verreist sind», erzählt die Grossmutter der Kinder gegenüber SRF. Doch es sind keine Ferien: Die Kinder wurden von ihrer eigenen Mutter nach Nordafrika verschleppt. «Es ist eine Katastrophe, meine Tochter zerstörte mein Leben. Ich liebe meine Enkelkinder. Ich kann es nach wie vor nicht fassen, dass mir meine eigene Tochter das angetan hat.»

Enzo und Denisa waren oft bei ihrer Grossmutter, sie hütete sie regelmässig. «Enzo wurde im April 10 Jahre alt. Ich schickte ihm eine Nachricht auf die Handynummer meiner Tochter, doch ich erhielt keine Antwort.»

Aufenthaltsort Annaba, Algerien

Die zwei Kinder wurden in der Schweiz polizeilich ausgeschrieben, ohne Erfolg. Doch dann meldete sich im November 2019 das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA bei der Kantonspolizei Wallis: Die Mutter und ihr algerischer Partner hätten sich an die Schweizer Botschaft in Algerien gewandt. Der Grund: sie wollen heiraten. Als Aufenthaltsort gaben sie Annaba an. Doch seit dieser Information konnte die Schweizer Mutter nicht mehr lokalisiert werden.

Inzwischen wurde Francesco das alleinige Sorgerecht zugesprochen. Und er wandte sich an die Schweizer Stiftung «Missing Children». Sie unterstützt Eltern, deren Kinder vermisst werden. Lucie Zimmitti, Direktorin von «Missing Children», begleitet den Fall der zwei entführten Kinder aus dem Wallis.

Es ist juristisch kaum möglich, die Kinder zurückzuholen.
Autor: Lucie Zimmitti Direktorin von «Missing Children»

«Das Hauptproblem ist, dass Algerien das Haager Abkommen über Kindesentführungen nicht ratifiziert hat. Somit ist es juristisch kaum möglich, die Kinder zurückzuholen. Eine Möglichkeit wäre jetzt noch, dass die algerischen Behörden die Mutter ausfindig machen und ihr mitteilen, dass sie kein Sorgerecht mehr hat und die Kinder zurückbringen muss.»

Doch für einen solchen Schritt ist Francesco in erster Linie von den algerischen Behörden abhängig. «In meinem jetzigen psychischen Zustand kann ich nicht sagen, ob ich noch auf eine Rückkehr hoffen kann. Meine einzige Hoffnung ist, dass meine Ex-Frau begreifen wird, dass sie einen sehr grossen Fehler gemacht hat und die Kinder am meisten darunter leiden.»

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FOKUS: Kindesentführungen – Silvio Oscar Mayer im Studiogespräch
Aus 10 vor 10 vom 18.05.2020.
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10vor10, 18.05.20

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