8.30 Uhr am Zeltweg in Zürich. Es kommen mehr, als gehen. In der Luft liegt ein dünner Windelgeruch - und leichte Anspannung, Uhren werden konsultiert. Für einige Eltern drängt die Zeit und doch wollen sie ihr Kind möglichst ohne grossen Trennungsschmerz in den Kita-Tag entlassen. Über allem hängt Omikron und erschwert das Loslassen. Die meisten Eltern vertrauen auf das Schutzkonzept und haben letztlich keine andere Wahl.
«Es sieht so aus, als würde es früher oder später uns alle erwischen. Doch wir haben ohnehin keine Alternative und sind auf die Kita angewiesen», sagt etwa eine Mutter, die ihr Mädchen mit dem Lastenvelo in die Kindertagesstätte der Stiftung GFZ bringt. Ein Vater gibt zu, dass er sich mit dem Gedanken trägt, das Kind weniger oder kürzer in die Krippe zu bringen. Doch letztlich ist das eine Frage der Möglichkeiten. Noch sind die Erinnerungen an die erste Corona-Welle frisch – an die Arbeit im Homeoffice mit Kindern im Vorschulalter und ihre mehr oder minder putzigen Nebenrollen in Videositzungen.
Mit Omikron haben wir einen absoluten Peak erreicht und geht es so weiter, wird es nicht mehr reichen.
Diese Befürchtungen werden auch in die Kita getragen und mischen sich dort mit den Befürchtungen der Angestellten. Weil bereits in der ersten Welle die Betreuungsangebote wieder hochgefahren wurden, befinden sich die Kitas seit zwei Jahren im Krisenmodus. «Mit Omikron haben wir einen absoluten Peak erreicht und geht es so weiter, wird es nicht mehr reichen», warnt Estelle Thomet, die Leiterin des Verbands für Kinderbetreuung in der Schweiz Kibesuisse. Die zahlreichen Personalausfälle haben mehrere Kitas gezwungen, ihre Öffnungszeiten zu verkürzen, auch Schliessungen oder Teilschliessungen gab es bereits.
Kürzere Öffnungszeiten, Aushilfe und Überzeit
Zwar hat der Verband vor zwei Wochen die Empfehlung an Kitas, schulergänzende Betreuungen und Tagesfamilien herausgegeben, die Betreuungszeiten nach Möglichkeit zu reduzieren, um komplette Ausfälle zu vermeiden. Doch damit lässt sich nur ein gewisser Teil der Ausfälle auffangen und für Eltern ist diese Variante oft auch alles andere als ideal. Zudem mangelt es an genauen Zahlen dazu, wie viel Personal schweizweit in den Kitas fehlt.
In allen 15 GFZ-Kindertagesstätten in Zürich konnte man eine Schliessung bisher mit dem eigenen Aushilfspool vermeiden. Mit rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern springen Betreuende im Notfall bei anderen Standorten ein. Die grösste Schwierigkeit besteht darin, kurzfristig Personal aufzubieten. «Im Durchschnitt fehlen 10 bis 20 Prozent der Mitarbeitenden täglich», stellt GFZ-Geschäftsführerin Raffaela Vedova fest. «An einem Standort fielen an einem Tag sogar 50 Prozent des Personals aus.»
Politische Forderungen
Am Zeltweg begegnet man Omikron mit einem peniblen Schutzkonzept, regelmässigen Pooltests, Überzeit und viel Aufopferungswillen. «Die Kinder gehen vor, wir müssen von der Leitung tagtäglich einspringen, auch wenn meine sonstige Arbeit liegenbleibt», resümiert Kita-Leiterin Michèle Biollay.
Für Kibesuisse-Verbandsleiterin Estelle Thomet zeigt die aktuelle Situation exemplarisch, dass an die Kindertagesstätten zuletzt gedacht wird. Es müsse sich politisch etwas ändern. Schon vor der Pandemie hätte man unter einem Fachkräftemangel gelitten. Thomet will die Politik wachrütteln. Es brauche mehr finanzielle Mittel, Kitas müssten als Bildungseinrichtungen anerkannt werden und der Beruf müsse aufgewertet werden, so die Forderungen. «Wir müssen weg von der Idee, dass Bildung und Betreuung Privatsache sind. Es geht uns alle an, und darum ist es eine systemrelevante Infrastruktur eines Landes.»