Zum Inhalt springen

Klimaneutrale Schweiz bis 2050 «In Deutschland diskutiert man die Abwrackprämie für Ölheizungen»

Keine Kompromisse: Bis 2050 soll die Schweiz klimaneutral sein. So will es der Bundesrat. Bislang ist das aber nicht mehr als eine Absichtserklärung. Denn umsetzen muss das allen voran die Wirtschaft, aber auch die Bevölkerung ist gefragt.

Sind die Pläne des Bundesrats also mehr als schöne Worte vor dem Klimagipfel in New York? Antworten von Rolf Wüstenhagen, Professor für Management Erneuerbarer Energien an der Universität St. Gallen.

Rolf Wüstenhagen

Wirtschaftsingenieur

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Rolf Wüstenhagen ist Professor für Management Erneuerbarer Energien an der Universität St. Gallen. Er hat an den Klimazielen des Bundesrates bis 2015 beratend mitgewirkt.

SRF News: Wie kommen die ambitionierten Pläne des Bundesrats bei Ihnen an?

Rolf Wüstenhagen: Klimaschutz ist ein wichtiges Anliegen. Insofern ist es erfreulich, dass sich der Bundesrat dem annimmt.

Lassen sich die Pläne mit den Anliegen der Gletscherinitiative vergleichen?

Sie haben tatsächlich ein ähnliches Ziel. Auch die Initiative will die Netto-Emissionen der Schweiz bis 2050 auf Null senken. Es ist auch kein Zufall, dass die Ziele ähnlich sind. Sie nehmen den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse auf. Der Weltklimarat hat in vielen Studien aufgezeigt, was die Folgen wären, wenn sich die globale Temperatur um mehr als 1.5 Grad erhöhen würde.

Alarmierende Erkenntnisse des Weltklimarats

Box aufklappen Box zuklappen

Das ursprüngliche Emissionsziel der Schweiz basierte auf Erkenntnissen des Weltklimarates (IPCC), wonach die Klimaerwärmung bis zum Jahr 2100 auf unter 2 Grad zu begrenzen ist, um gravierende Folgen für Mensch und Artenvielfalt zu verhindern.

2018 hat der IPCC aufgezeigt, dass bereits ab einer globalen Erwärmung um 1.5 Grad mit gravierenden Veränderungen der Ökosysteme gerechnet werden muss und eine ausgeglichene Emissionsbilanz von Netto-Null bereits wesentlich früher erreicht werden muss.

Um diese Risiken des Klimawandels zu vermeiden, muss man die Emissionen mindern. Dies muss bis 2050 in grossem Ausmass geschehen.

Der grösste Unterschied zwischen Initiative und Bundesrat ist, wo man das CO2 kompensiert. Die Gletscherinitiative sagt: nur in der Schweiz. Der Bundesrat sagt: auch im Ausland. Wo stehen Sie?

Der erste Schritt ist zu ermitteln, wie die Emissionen reduziert werden sollen. Was man mit dem restlichen CO2-Ausstoss macht, den man nicht im Inland kompensieren kann, ist für mich erst der zweite Schritt. Es muss zuallererst geklärt werden, wie man in Bereichen, die heute viele der Emissionen verursachen, eine substanzielle Minderung erzielen kann.

Und wie kann das gelingen?

Die grossen Bereiche sind der Verkehr, die Gebäude und die Ernährung. Beim Verkehr ist es höchste Zeit für eine Minderung der Emissionen, indem man weniger fossile Brennstoffe einsetzt. Im Moment geht der Trend hier noch in die falsche Richtung. Die Verkehrsemissionen sind im letzten Jahr wieder gestiegen. Länder wie Norwegen zeigen, wie es geht. Auch dort hat man ein Netto-Null-Ziel – sogar bis 2030. Es wurden Massnahmen zur Förderung der Elektromobilität ergriffen. Heute wird jedes zweite neuzugelassene Auto in Norwegen elektrisch betrieben.

Die Hausaufgaben müssen vom Parlament gemacht werden.

Bei Häusern geht der Trend tendenziell in die richtige Richtung. In den letzten Jahren hat man ein grosses Wachstum bei Wärmepumpen erzielt. Diese werden mit erneuerbaren Energien betrieben. Auch bei der Wärmedämmung, also der Energieeffizienz, geht der Trend in die richtige Richtung. Es hapert aber bei der Geschwindigkeit der Umsetzung.

So soll die Klimaneutralität gelingen

Box aufklappen Box zuklappen

Die Umweltministerin zeigte sich überzeugt, dass es in der Schweiz noch Potenzial gibt. Sie erinnerte daran, dass beispielsweise immer noch neue Ölheizungen eingebaut werden. Mit den heute bekannten Technologien und dem Einsatz erneuerbarer Energien könnten die CO2-Emissionen in den Bereichen Verkehr, Gebäude und Industrie um bis zu 95 Prozent gesenkt werden, schreibt das Uvek. Auch in der Landwirtschaft gebe es Verminderungspotenzial.

Zum Ausgleich der verbleibenden Emissionen sollen künftig neben den natürlichen CO2-Speichern wie Wäldern und Böden auch Technologien zum Einsatz kommen, die der Atmosphäre Treibhausgase entziehen und diese speichern. Die Schweizer Industrie und Forschung spielten eine wichtige Rolle bei der Entwicklung solcher Emissionstechnologien, betont das Uvek.

Der ganze Gebäudepark hat lange Investitionszyklen. Wenn man wartet, bis die Ölheizung ersetzt werden muss, braucht der Wandel relativ lange. Man muss die Massnahmen dem Tempo des Klimawandels anpassen. Etwa, indem man Anreize für den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien schafft. In Deutschland etwa wird über eine Abwrackprämie für Ölheizungen diskutiert.

Vieles ist eine Blackbox. Sehen Sie eine reelle Chance, dass das Klimaziel des Bundesrats erreicht werden kann?

Die Pläne sind ein Anfang. Wie bei Volksinitiativen – etwa der Alpeninitiative – werden nur die Leitplanken gelegt. Man schreibt beispielsweise einen kurzen Verfassungsartikel, der eine Richtung vorgibt. Die Hausaufgaben müssen aber vom Parlament gemacht werden.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

Korrekt

Box aufklappen Box zuklappen

In einer früheren Version dieses Interviews war in der vierten Antwort die Rede davon, dass heute jedes zweite Auto in Norwegen elektrisch betrieben wird. Korrekt ist: jedes zweite neuzugelassene Auto in Norwegen ist heute ein Elektro-Auto. Wir haben diesen Fehler nach dem Hinweis eines Lesers in Rücksprache mit dem Experten korrigiert und entschuldigen uns für das Versehen.

Meistgelesene Artikel