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Klimaschutz: CO₂ abscheiden Negative Emissionen – «Wir müssen jetzt anfangen!»

Für das Ziel Netto-Null muss der Atmosphäre tonnenweise CO₂ entzogen werden. Technisch ist das möglich – praktisch geschieht es aber erst in kleinen Mengen. Ein Forschungsprojekt zeigt, wie bald mehr Negativemissionen möglich wären.

Aktuell schätzt der Bund, dass die Schweiz im Jahr 2050 rund 12 Millionen Tonnen CO₂ der Atmosphäre entziehen und definitiv wird lagern müssen, um das sogenannte Netto-Null-Ziel erreichen zu können; um also unter dem Strich keine Emissionen mehr auszustossen.

Aktuell stösst die Schweiz dreieinhalbmal so viel aus, nämlich rund 45 Millionen Tonnen pro Jahr. In verschiedenen Bereichen kann der Ausstoss auf null reduziert werden – im Verkehr beispielsweise können Elektromotoren Benziner und Diesler ersetzen, beim Heizen Wärmepumpen Gasheizungen.

Climeworks-Anlage aus der Luft fotografiert
Legende: Climeworks-Projekt in Island: Riesige Luftfilter entziehen der Luft CO₂. KEYSTONE/ANTHONY ANEX

Schwieriger wird das in der Landwirtschaft und beispielsweise bei der Betonproduktion. Die dort ausgestossenen Treibhausgase müssen andernorts oder gleich dort, wo sie entstehen, wieder abgeschieden werden – durch negative Emissionen.

Negative Emissionen – natürlich und technisch

Auch die Natur baut ständig CO₂ aus der Atmosphäre ab. Die Aufforstung von Wäldern oder der Erhalt von Moorlandschaften schaffen natürliche negative Emissionen. Deren Potenzial ist in der Schweiz aber beschränkt und neue Forschungsresultate zeigen, dass die CO₂-Aufnahmefähigkeit der Natur mit steigenden Temperaturen abnimmt. Seit ein paar Jahren wird deshalb intensiv an technischen Möglichkeiten geforscht.

Ein zeltförmiger Bau neben zwei Container in einer kargen Landschaft in Island
Legende: DemoUpCarma-Projekt von Climeworks in Island. KEYSTONE/Anthony Anex

Die Schweizer Firma Climeworks beispielsweise saugt CO₂ aus der Umgebungsluft ab und lagert es im Boden. Im Forschungsprojekt DemoUpCarma wird getestet, wie das CO₂ dort, wo es entsteht, abgeschieden und anschliessend transportiert und definitiv gebunden werden kann. Marco Mazzotti, Professor für Verfahrenstechnik an der ETH Zürich, leitet dieses Projekt und stellt fest: «12 Millionen Tonnen Negativ-Emissionen sind möglich bis 2050, aber es ist eine grosse Herausforderung».

Technische Probleme sind lösbar

Technisch funktioniere der Prozess. Das habe DemoUpCarma gezeigt, betont Mazzotti. So wird in der Abwasserreinigungsanlage ARA Bern von der jungen Firma Neustark CO₂ abgeschieden. Gemäss Neustark-Mitgründer Johannes Tiefenthaler geschieht dies über einen Aufsatz auf dem Kamin der Biogasanlage vor Ort. «Dort fangen wir das CO₂ ab, das ansonsten in die Luft ginge, und führen es unserer Verflüssigungsanlage zu.»

Technische Anlagen von unten fotografiert
Legende: CO₂-Abscheidung auf der Biogas-Anlage der ARA Bern. SRF

Verflüssigtes CO₂ braucht 15 Mal weniger Platz als gasförmiges und ist deshalb besser transportierbar. Die eigentliche Verflüssigungsanlage befindet sich in einem Container, wenige Meter von der Biogasanlage entfernt auf dem Gelände der ARA. Hier wird das CO₂ heruntergekühlt, gewaschen und in Tanks auf Lastwagenanhängern gepumpt.

12 Millionen Tonnen Negativ-Emissionen sind möglich bis 2050, aber es ist eine grosse Herausforderung
Autor: Marco Mazzotti Professor für Verfahrenstechnik ETH Zürich

Von hier geht das CO₂ im Rahmen von DemoUpCarma zwei unterschiedliche Wege: entweder es reist per Bahn und Schiff nach Island, wo es mit Wasser gemischt und in den Boden gepumpt und versteinert wird. Oder der LKW bringt das CO₂ zu einem Betonwerk in der näheren Umgebung. Dort wird es gemahlenem Abbruchbeton zugeführt.

Treibhausgas wird zu Stein

Johannes Tiefenthaler von Neustark erklärt: «CO₂ geht mit den Zementfasern im Abbruchbeton eine chemische Reaktion ein und wird zu Kalkstein und so permanent gebunden.» Dieser Recyclingbeton weist unter dem Strich einen um 10 Prozent geringeren CO₂-Fussabdruck auf als vergleichbarer Beton.

Mann steht in oranger Schutzweste gekleidet vor Wassertank
Legende: Neustark-Mitgründer Johannes Tiefenthaler neben der Verflüssigungsanlage der Firma Neustark bei der ARA Bern. SRF

Die Produktion solchen Betons sei durchaus ein Geschäft, erläutert Johannes Tiefenthaler: «Es gibt Kunden, die bereit sind, für diese CO₂-Speicherleistung zu bezahlen.» Sprich: Bauherren, die bewusst weniger klimaschädlichen Beton verwenden möchten, oder andere Unternehmen, die über die Finanzierung der CO₂-Abscheidung ihre eigene Klimabilanz aufbessern.

Zukunftsmodell oder Wunschtraum?

Neustark ist derzeit daran, in der Schweiz und im nahen Ausland eine Infrastruktur zur Abscheidung von CO₂ und anschliessend Lagerung im Recycling-Beton aufzubauen. Bis 2050 will das Unternehmen so rund eine halbe Million Tonnen CO₂ binden.

Schweiz exportiert CO₂-Abfall

Um das Ziel von 12 Millionen Tonnen Negativ-Emissionen zu erreichen, muss eine deutlich grössere Menge CO₂ im Untergrund gelagert werden. Das Potenzial dafür in den Schweizer Böden ist vorläufigen Schätzungen zufolge gering. Neben Island, wo die Tests von DemoUpCarma laufen, kommen auch Norwegen und die Niederlande aus Schweizer Sicht infrage. Ob diese Länder bereit sein werden, CO₂ aus der Schweiz in grossem Stil aufzunehmen, ist derzeit aber völlig offen. Gut möglich, dass gerade EU-Staaten zuerst ihre eigenen Negativ-Emissionen skalieren und die Schweiz aussen vor bleibt.

Mann posiert in oranger Leuchtweste vor Container, daneben steht ein Tanklaster
Legende: Noch funktioniert das System der Verflüssigungsanlage nur mit Hilfe von LKWs, die die abgeschiedene Masse abtransportieren. SRF

Auf jeden Fall könnten grössere Mengen CO₂ dereinst nicht mehr mit Lastwagen durch Europa transportiert werden, betont Marco Mazzotti von der ETH. Ein grenzüberschreitendes Netz von Pipelines werde wohl gebaut werden müssen. Und: «Abscheidung, Transport und Lagerung von CO₂ müssen im gleichen Tempo skaliert werden. Das ist die grösste Herausforderung», betont der Professor für Verfahrenstechnik.

Der Preis wird entscheiden

Sophie Wenger, die zuständige Projektleiterin beim Bundesamt für Umwelt BAFU sieht das ähnlich. Derzeit würden alle Akteure noch abwarten: «Emittenten wollen erst CO₂ abscheiden, wenn die Transportinfrastruktur da ist. Die Transport- und Speicherstruktur wird aber erst entwickelt, wenn es Kunden gibt, die abscheiden und ihr CO₂ verkaufen wollen.»

Wie soll Schwung in die Sache kommen? Die Schweiz leiste Anschubfinanzierung, betont Wenger. Einerseits über Projekte wie DemoUpCarma; aber auch die Stiftung Klimarappen stelle 50 Millionen Franken für Negativ-Emissionen zur Verfügung.

Aktuell rechnen die Verantwortlichen damit, dass für Abscheidung, Transport und Lagerung von CO₂ Kosten von rund 300 Franken pro Tonne anfallen. Das ist deutlich mehr als ein Unternehmen im europäisch-schweizerischen Emissionshandel für den Ausstoss einer Tonne CO₂ bezahlt. Dort liegt der Preis noch deutlich unter 100 Franken pro Tonne. Die Zahl der CO₂-Ausstossrechte wird in den kommenden Jahren jedoch sinken, die Preise voraussichtlich steigen. Klar ist: Günstig sollten Negativ-Emissionen nicht werden. Denn sie sollten nur dort zum Zug kommen, wo eine Reduktion des CO₂-Ausstosses auf Null nicht möglich ist.

Trend, 31.05.23, 18 Uhr

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