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Knapp 10 Milliarden im Rücken Bundesrat: Kassen sollen Milliardenreserven abbauen – freiwillig

Die Versicherten sollen von der 10-Milliarden-Reserve der Kassen etwas abbekommen. Diese warnen vor einem Jojo-Effekt.

Die Krankenkassen sässen auf sehr viel Geld – Geld, das sie den Versicherten zurückgeben sollten. Das sagt der Bundesrat, und zwar erstmals seit Jahren in dieser Deutlichkeit. Wörtlich: Der Bundesrat vertritt die Ansicht, dass die sehr hohen Reserven der Versicherer zugunsten der Versicherten abgebaut werden sollten.

Kleiner Kniff mit grosser Wirkung

Geld zurückerstatten können die Krankenkassen heute schon – und sie tun es teilweise auch. Grenzen setzen ihnen dabei unter anderem die Vorschriften: So dürfen sie aktuell nur so viel Geld zurückgeben, bis sie noch 150 Prozent der vorgeschriebenen Reserven haben, also das Anderthalbfache.

Ein Jojo-Effekt muss unbedingt vermieden werden – mit künstlich tief gehaltenen Prämien.
Autor: Matthias Müller Santésuisse, Leiter Abteilung Politik und Kommunikation

Der Bundesrat will diesen Wert nun auf 100 Prozent senken. Der scheinbar rein technische Kniff hat theoretisch eine grosse Auswirkung: Freigespielt werden könnten so gegen fünf Milliarden Franken, zum Beispiel in Form von tieferen Prämien.

Santésuisse: Nutzen für Versicherte prüfen

Dass die Versicherten in diesem vollen Umfang profitieren, ist allerdings unwahrscheinlich. Beim Krankenkassenverband Santésuisse sagt Matthias Müller: «Wir müssen zunächst sorgfältig prüfen, ob dieser Vorschlag den Prämienzahlenden tatsächlich nützt. Denn ein Jojo-Effekt muss unbedingt vermieden werden – mit künstlich tief gehaltenen Prämien, gefolgt von einem Prämiensprung.

Jetzt zeigt sich, dass es Reserven in dieser horrenden Höhe nie braucht.
Autor: Reto Wyss Schweizerischer Gewerkschaftsbund SGB

Reserven seien durchaus auch im Sinne der Versicherten, betont Müller: «Dank der Reserven konnten wir bereits im Frühling ankündigen, dass es trotz Coronakrise nicht zu einem Prämiensprung kommt. Das zu wissen, war für die Prämienzahlenden sehr wichtig.»

SGB: Kritik an Freiwilligkeit

Reto Wyss vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund SGB kann dieses Argument nicht mehr hören: «Man hat diese Reserven eigentlich für einen Pandemiefall angehäuft. Er ist eingetreten und man hat festgestellt, dass Reserven in dieser horrenden Höhe nie gebraucht werden müssen.»

Sogar der Bundesrat halte nun offiziell fest, dass die Reserven der Krankenkassen viel höher seien als vorgeschrieben. Das sei erfreulich, so der SGB-Zentralsekretär. Stossend am Vorschlag des Bundesrats hingegen, dass alles noch auf freiwilliger Basis geschehen könne: «Jede Kasse könne selbst entscheiden, ob sie etwas zurückerstatten will oder nicht.»

500 Franken für jede Person?

500 Franken sollten die Krankenkassen jeder Person in der Schweiz direkt zurückzahlen, forderte der SGB bereits Anfang Sommer. Eine Verpflichtung zur Rückerstattung wollten linke Gesundheitspolitikerinnen zuletzt im Covid-19-Gesetz festschreiben, scheiterten damit allerdings.

Der Bundesrat setzt darauf, dass die Versicherungen mit hohen Reserven die Prämien nun bewusst knapp kalkulieren – und so eine Prämienexplosion vermeiden.

Auch andere wollen ans Geld

Seine Forderung nach einem Reserveabbau platziert die Landesregierung just in einem Moment, wo die Begehrlichkeiten nach den Reserven ohnehin schon gross sind: So forderten auch die Spitäler bereits Geld aus diesen Töpfen – als Entschädigung für Ertragsausfälle im Corona-Lockdown, als sie nicht mehr operieren konnten.

Wie stark die Prämien nächstes Jahr steigen, gibt Gesundheitsminister Alain Berset am Dienstag bekannt.

Echo der Zeit, 18.09.2020, 18:00 Uhr

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