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Komplizierter Energiemarkt Warum auch im «Energiekanton» Aargau die Strompreise steigen

Der Mittelland-Kanton produziert viel mehr Strom, als er selbst verbraucht. Behalten kann er den Strom aber nicht.

    Ausgerechnet im Aargau! Die Gemeinde Oberlunkhofen hat national für Schlagzeilen gesorgt. Nirgendwo sonst steigen die Strompreise für das nächste Jahr so stark wie hier. Das lässt aufhorchen. Immerhin stehen im Aargau drei von vier Schweizer Kernreaktoren. Dazu kommen 26 grosse Flusskraftwerke. Der Aargau produziert etwa vier mal mehr Strom als er selbst verbraucht. Davon müsste er eigentlich profitieren können.

Der «Fall Oberlunkhofen»: 263 Prozent teurer

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Hauptstrasse in einem alten Bauerndorf, Dorfansicht Oberlunkhofen
Legende: Oberlunkhofen hat rund 2000 Einwohner und liegt im Süden des Kantons Aargau, an der Grenze zum Kanton Zürich. SRF

Das ist wahrscheinlich Schweizer (Negativ-)Rekord: In der Gemeinde Oberlunkhofen im Reusstal steigt der Strompreis für die nächsten beiden Jahre um 263 Prozent. Ein Durchschnittshaushalt musste bisher rund 800 Franken für den Strom bezahlen, ab 2023 sind es dann rund 2800 Franken. Mehr als drei Mal so viel.

Hans Hagenbuch, der Präsident der lokalen Energieversorgerin Elektra, erklärt gegenüber SRF: «Wir hatten die Hälfte des Stroms für die nächsten beiden Jahre bereits eingekauft. Wir wiegten uns deshalb in falscher Sicherheit.» Als der Strompreis explodierte, musste die Elektra wohl oder übel einen sehr teuren Vertrag abschliessen.

«Wir haben einen Fehler gemacht», gibt Hagenbuch unumwunden zu. Die Menschen im Dorf sind ziemlich schockiert, wie eine Strassenumfrage von «Schweiz aktuell» zeigte. Ein Wirt beklagt, er müsste für alle anstehenden Preiserhöhungen wohl 30 Prozent aufschlagen bei den Menupreisen, was natürlich unmöglich sei.

Auch in anderen Aargauer Gemeinden steigt der Strompreis ab 2023 stark an, wenn auch nicht in einem solch drastischen Ausmass wie in Oberlunkhofen.

Die Kraftwerke im Aargau produzieren den Strom momentan nämlich viel günstiger als es die aktuellen Marktpreise sind. Sie laufen rund um die Uhr, sind teilweise seit Jahren amortisiert. Doch auch die Aargauerinnen und Aargauer werden im Winter tiefer in die Tasche greifen müssen für ihre Stromrechnung.

Denn die Aargauer Energieversorger können den Strom grösstenteils nicht direkt bei den Produktionsanlagen kaufen. Oder salopp formuliert: Der Strom fliesst eben nicht direkt aus dem Kraftwerk in die Steckdose.

Erklärung 1: Die meisten Stromversorger machen keinen Strom. «Nur einige wenige Stadtwerke in Aarau, Baden oder Brugg produzieren selber im grossen Stil», erklärt Ruedi Zurbrügg, der Geschäftsführer des Verbands Aargauischer Stromversorger (VAS). Diese könnten von ihren eigenen Kraftwerken profitieren und ihre Strompreise relativ tief halten.

9 von 10 lokalen Stromversorger aber produzieren selbst gar keinen Strom oder besitzen höchstens ein paar Solaranlagen oder Kleinwasserkraftwerke. Sie sind also auf externe Lieferanten angewiesen. Diese Lieferanten sind zum Beispiel Konzerne wie Axpo oder BKW. Diesen Konzernen gehören auch die wichtigsten Stromproduktionsanlagen im Kanton Aargau – die drei Kernreaktoren.

Blick auf zwei Betontürme mit einer grossen grünen Halle vorne, Axpo-Logo, dazwischen Starkstromleitungen
Legende: Die beiden Reaktoren Beznau 1 und 2 stehen in der Aargauer Gemeinde Döttingen. Sie liefern ungefähr doppelt so viel Strom, wie die Stadt Zürich verbraucht. IMAGO / Andreas Haas

Erklärung 2: Die Kraftwerke gehören nicht (allein) dem Aargau. Die drei im Aargau stehenden AKW haben ein breites Aktionariat, gehören oft mehreren Stromkonzernen und Kantonen gemeinsam. Und diese Aktionäre bestimmen, was mit dem Strom passiert, sagt Ruedi Zurbrügg: «Gehen wir damit an die Börse oder verkaufen wir den Strom direkt an Abnehmer? Das entscheiden die Aktionäre.»

Das Kernkraftwerk Leibstadt zum Beispiel gehört einem Konsortium verschiedener Energiekonzerne. Die beiden Reaktoren in Beznau gehören zwar zu 100 Prozent der Axpo Energie AG - allerdings gehört diese wiederum einem grossen Konsortium aus kantonalen Elektrizitätswerken und Kantonen.

Die Aargauer Politik hat also keinen direkten «Zugriff» auf die Stromproduktionsanlagen auf dem eigenen Kantonsgebiet. Und die Aktionäre – gerade zum Beispiel anderen Kantone – haben keinerlei Interesse daran, dass der Strom aus Leibstadt oder Beznau im Aargau bleibt.

Erklärung 3: Der Strommarkt ist inzwischen international. Deshalb verkaufen die meisten Kraftwerke ihren Strom an der europäischen Strombörse in Leipzig. Dort gilt das Primat von «Angebot und Nachfrage», der Marktpreis entsteht also in Ostdeutschland. Weil die Nachfrage hoch und das Angebot vielleicht bald zu knapp sein könnte, steigen die Preise aktuell massiv an.

Die lokalen Stromversorger müssen den Strom bei ihren Produzenten zu diesen Marktpreisen einkaufen. Wer aktuell keine laufenden langfristigen Verträge hat, der muss nun bei hohen Preisen neue Kontingente bestellen. Darunter leiden eben auch die Aargauerinnen und Aargauer, obwohl sie ja eigentlich «im Strom schwimmen».

SRF1, Regionaljournal Aargau Solothurn, 02.09.2022, 12:03 Uhr ; 

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