Die Debatte über Konkordanz war bis zur Wahl von Guy Parmelin vor gut einem Jahr heftig. Mit der Rückkehr zur Arithmetik mit je zwei Sitzen für die grössten Parteien SVP, SP und FDP sowie einem Sitz für die CVP verband sich die Hoffnung auf mehr Einigkeit. Doch es folgte ein Streitjahr von seltener Heftigkeit.
Adrian Amstutz fühlt sich heute getäuscht. Nach dem Rechtsrutsch bei den Parlamentswahlen und mit einem zweiten Bundesrat war der SVP-Fraktionschef überzeugt, dass die rechte Politik auch sachpolitisch weitergeht. Namentlich beim Kerngeschäft, der Masseneinwanderungsinitiative, fühlt er sich von der FDP düpiert.
«Man blinkt rechts und biegt links ab. Das ist brandgefährlich, nicht nur auf der Strasse, sondern auch in der Politik», warnt Amstutz. Und weil der Umsetzungsentscheid zur Masseneinwanderungsinitiative für Amstutz einen Verfassungsbruch darstellt, ist für ihn der Entscheid auch ein Bruch mit der Konkordanz.
Im Sinne der Konkordanz hat die Parlaments- und Bundesratsmehrheit mit dem Verfassungsbruch sämtliche Grenzen überschritten. Da können wir nicht einfach ‹liebs Büsi› spielen.
FDP-Ständerat Philipp Müller widerspricht. Er spielte eine wichtige Rolle bei der MEI-Umsetzung. Auch ebnete die Partei unter seiner Führung der SVP den Weg zum zweiten Bundesratssitz. Seine Antwort an Amstutz: «Man kann nicht den eigenen Standpunkt als Mass der Dinge nehmen und jeden Widerspruch als nicht konkordanzfähig bezeichnen.» Und zur MEI schiebt er nach: «Hätte die SVP das wirklich ernstgemeint, hätte sie das Referendum ergreifen können. Das wäre die demokratische, korrekte Antwort gewesen.»
Man kann nicht den eigenen Standpunkt als Mass der Dinge nehmen und jeden Widerspruch als nicht konkordanzfähig bezeichnen.
Auch SP-Präsident Christian Levrat hält nichts von der Argumentation von Amstutz: Eine Umsetzung im Sinn der SVP mit Neuverhandlungen der Bilateralen sei undenkbar gewesen. Das habe die SVP wissentlich ausgeblendet. Die MEI zeige darum eine klare Verletzung der Konkordanz durch die SVP. Die SVP verhalte sich nicht wie eine konkordante Partei. Da spiele der zusätzliche Bundesratssitz überhaupt keine Rolle. Dies sei allerdings nur für jene eine Überraschung, die auf eine Mässigung der SVP gehofft hätten.
Die SVP verhält sich nicht wie eine konkordante Partei. Da spielt der zusätzliche Bundesratssitz überhaupt keine Rolle.
Doch sind die Erfahrungen rund um die MEI-Umsetzung tatsächlich repräsentativ für die Parteienzusammenarbeit seit der Wahl von Parmelin? So ganz schwarz-weiss sei die Sache nicht, räumt selbst SVP-Fraktionschef Amstutz ein. Gerade bei der Unternehmenssteuerreform oder beim Strassenfonds spreche man durchaus miteinander und finde Lösungen.
Konkordanz total pragmatisch
Für Philipp Müller ist dies der entscheidende Punkt: Weder die Europapolitik noch sonst ein einzelnes Sachthema seien ausschlaggebend für eine funktionierende Konkordanz. «In dieser Europafrage sind wir uns nicht einig. Bei der für das Land sehr wichtigen USR III funktioniert die Zusammenarbeit sehr gut.»
So ist es eben, dass die Konkordanz von wechselnden Mehrheiten lebt.
Mit wechselnden Mehrheiten kann auch SP-Präsident Levrat etwas anfangen. Gerade weil sich die SP einer noch gestärkten rechten Mehrheit gegenüber sieht und seit der Wahl von Parmelin vermehrt auch zu Oppositionsinstrumenten greift. «Die Tatsache, dass wir bei der AHV mit der CVP eine Lösung finden und bei der Masseneinwanderungsintiative mit der FDP zeigt, dass die Zusammenarbeit zwischen den Parteien spielt.»
Neben der harten Konkordanz-Rhetorik rund um die Einwanderungsinitiative funktioniert also gleichzeitig ein total pragmatisches Konkordanz-Verständnis aller. Noch ist nicht absehbar, ob sich diese oder jene Stossrichtung durchsetzt, bis die neue Konkordanz 2019 bestätigt werden muss.