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Konkubinatsbeitrag IV-Bezügerin muss ihren Konkubinatspartner mitfinanzieren

Das Bundesgericht hat entschieden, dass eine IV-Rentnerin mit den Ergänzungsleistungen ihren Konkubinatspartner mitfinanzieren muss – auch wenn die beiden nicht verheiratet sind. Die Hintergründe.

Die Sozialhilfe kürzt einem Mann den Grundbedarf von monatlich fast 1000 Franken auf rund 200 Franken. Das Argument: Seine Lebenspartnerin müsse für ihn aufkommen. Hier spricht man von «Konkubinatsbeitrag».

Was ist der Konkubinatsbeitrag?

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Wenn der Konkubinatspartner einer sozialhilfebeziehenden Person über dem sozialhilferechtlichen Existenzminimum lebt, geht die Sozialhilfe davon aus, dass er oder sie für ihren Lebenspartner Kleider, Essen und Haushalt zahlt und zieht entsprechend beim Grundbedarf einen sogenannten «Konkubinatsbeitrag» ab. So empfehlen es die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe Skos.

Berücksichtigt werden nicht nur Lohn und Vermögen des Konkubinatspartners, sondern – wie im konkreten Fall – auch die Ergänzungsleistungen zu einer Invaliden- oder Altersrente, obschon diese dazu gedacht wären, das Existenzminimum des Rentners zu sichern.

Dagegen wehrte sich der Mann. Aus zwei Gründen:

  1. Erstens sind die beiden nicht verheiratet. Im Unterschied zu einem Ehepartner ist die Konkubinatspartnerin rechtlich nicht verpflichtet, den Partner finanziell zu unterstützen. Sie könnte ihn – salopp formuliert – einfach verhungern lassen.
  2. Zweitens ist seine Partnerin IV-Rentnerin und bezieht Ergänzungsleistungen (EL). Letztere bekommt man nur, wenn die Rente die minimalen Lebenskosten nicht deckt. Wenn die Konkubinatspartnerin mit den Ergänzungsleistungen auch noch für ihren Partner aufkommen muss, fällt sie also unter das Existenzminimum der Ergänzungsleistungen.
Mann und Frau.
Legende: Die Sozialhilfe will nicht für jemanden zahlen, wenn der Konkubinatspartner dieser Person Essen, Kleider und Toilettenpapier kaufen kann. Getty Images/Tima Mirashnichenka

Doch jetzt hat das Bundesgericht die Beschwerde des Sozialhilfebezügers abgewiesen.

Bundesgericht setzt auf Solidarität

Laut Bundesgericht muss auch eine EL-Bezügerin für ihren Konkubinatspartner aufkommen. Denn das Bundesgericht setzt auf die «tatsächlich gelebte Solidarität» in einem gefestigten Konkubinat. Anders gesagt: Es vertraut darauf, dass Konkubinatspartner einander nicht verhungern lassen, auch wenn sie rechtlich nicht verpflichtet sind, einander Kleider und Essen zu kaufen.

Das sagt der Anwalt des Beschwerdeführers

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«Das Bundesgericht erachtet es als zulässig, dass Sozialhilfebehörden auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage in das Existenzminimum der nicht unterstützten Konkubinatspartnerin und der gemeinsamen Kinder eingreifen. Leistungen der Ergänzungsleistungen dürfen nach Ansicht des Gerichts als Konkubinatsbeitrag angerechnet werden, sodass die Sozialbehörden entsprechend weniger oder gar keine Sozialhilfe an den bedürftigen Partner bezahlen müssen.

Das Bundesgericht ist der Auffassung, die gegenseitige wirtschaftliche Unterstützung gebiete eine Annäherung an die Pflichten von Ehepartnern. Das Gericht setzt sich damit über grundlegende Garantien der Bundesverfassung und der europäischen Menschenrechtskonvention, namentlich über das Recht auf Achtung der Familie und das Gesetzesmässigkeitsprinzip hinweg. Das Gericht ist auch nicht auf einen in der Beschwerde zitierten Entscheid einer anderen Kammer des Bundesgerichts eingegangen, welche eine weitgehende Gleichbehandlung von Konkubinat und Ehe nach differenzierter und sehr ausführlicher Argumentation ausdrücklich ablehnt. Es wird daher ein Weiterzug an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geprüft.»

Zudem: Ergänzungsleistungen sind laut Bundesgericht zwar steuerfrei und unpfändbar, sie können aber trotzdem bei der Berechnung der Sozialhilfe berücksichtigt werden. Sonst sei es ungerecht für Lohnempfänger, die auf das sozialhilferechtliche Existenzminimum gesetzt werden können, das tiefer ist als das Existenzminimum der Ergänzungsleistungen.

Sozialhilfe und die Ergänzungsleistungen sind nicht aufeinander abgestimmt.
Autor: Thomas Gächter Sozial­versicherungs­experte, Universität Zürich

Laut dem Sozial­versicherungs­experten Thomas Gächter von der Universität Zürich liegt das Problem in diesen unterschiedlichen Existenzminima: «Die Sozialhilfe und die Ergänzungsleistungen sind nicht aufeinander abgestimmt, deshalb kommt es zu solchen Inkonsistenzen.» Man könne diese Systeme auch nicht koordinieren, solange das eine kantonal und das andere national geregelt sei.

Auch das Bundesgericht räumt in seinem Urteil ein, dass das System vielleicht nicht ganz kohärent sei.

«In diesem Gestrüpp gibt es viele Bruchlinien, wo der Einzelne sagt: ‹Das kann doch nicht sein!›», so Gächter. Dass die Frau ihre Ergänzungsleistungen, die ja das Minimum der ersten Säule seien, auch noch teilen müsse, wirke nicht plausibel – aber aus sozialhilferechtlicher Sicht mache es Sinn.

Wegen Kritik: baldige Änderung?

Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos) beabsichtigte schon länger, ihre Empfehlung zum Konkubinatsbeitrag zu ändern. Vize-Präsidentin Claudia Hänzi schreibt auf Anfrage, die Skos werde das Urteil des Bundesgerichts sorgfältig analysieren. «Die Bemessung der Sozialhilfe bei Konkubinaten ist ein komplexes Thema, das immer wieder Anlass zu Diskussionen bietet.» Die Skos befasse sich im Rahmen der aktuellen Revision ihrer Richtlinien mit dieser Lebensform und überprüfe ihre Empfehlungen dazu.

Mit einem Entscheid sei aber erst im Frühling 2027 zu rechnen. Und danach liege es in der Kompetenz der Kantone, ob die geänderte Skos-Richtlinie in die jeweilige Gesetzgebung übernommen werde oder nicht.

Bundesgericht 8C_138/2024.

SRF 4 News, 30.7.2025, 12 Uhr;liea

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