Die Sozialhilfe kürzt einem Mann den Grundbedarf von monatlich fast 1000 Franken auf rund 200 Franken. Das Argument: Seine Lebenspartnerin müsse für ihn aufkommen. Hier spricht man von «Konkubinatsbeitrag».
Dagegen wehrte sich der Mann. Aus zwei Gründen:
- Erstens sind die beiden nicht verheiratet. Im Unterschied zu einem Ehepartner ist die Konkubinatspartnerin rechtlich nicht verpflichtet, den Partner finanziell zu unterstützen. Sie könnte ihn – salopp formuliert – einfach verhungern lassen.
- Zweitens ist seine Partnerin IV-Rentnerin und bezieht Ergänzungsleistungen (EL). Letztere bekommt man nur, wenn die Rente die minimalen Lebenskosten nicht deckt. Wenn die Konkubinatspartnerin mit den Ergänzungsleistungen auch noch für ihren Partner aufkommen muss, fällt sie also unter das Existenzminimum der Ergänzungsleistungen.
Doch jetzt hat das Bundesgericht die Beschwerde des Sozialhilfebezügers abgewiesen.
Bundesgericht setzt auf Solidarität
Laut Bundesgericht muss auch eine EL-Bezügerin für ihren Konkubinatspartner aufkommen. Denn das Bundesgericht setzt auf die «tatsächlich gelebte Solidarität» in einem gefestigten Konkubinat. Anders gesagt: Es vertraut darauf, dass Konkubinatspartner einander nicht verhungern lassen, auch wenn sie rechtlich nicht verpflichtet sind, einander Kleider und Essen zu kaufen.
Zudem: Ergänzungsleistungen sind laut Bundesgericht zwar steuerfrei und unpfändbar, sie können aber trotzdem bei der Berechnung der Sozialhilfe berücksichtigt werden. Sonst sei es ungerecht für Lohnempfänger, die auf das sozialhilferechtliche Existenzminimum gesetzt werden können, das tiefer ist als das Existenzminimum der Ergänzungsleistungen.
Sozialhilfe und die Ergänzungsleistungen sind nicht aufeinander abgestimmt.
Laut dem Sozialversicherungsexperten Thomas Gächter von der Universität Zürich liegt das Problem in diesen unterschiedlichen Existenzminima: «Die Sozialhilfe und die Ergänzungsleistungen sind nicht aufeinander abgestimmt, deshalb kommt es zu solchen Inkonsistenzen.» Man könne diese Systeme auch nicht koordinieren, solange das eine kantonal und das andere national geregelt sei.
Auch das Bundesgericht räumt in seinem Urteil ein, dass das System vielleicht nicht ganz kohärent sei.
«In diesem Gestrüpp gibt es viele Bruchlinien, wo der Einzelne sagt: ‹Das kann doch nicht sein!›», so Gächter. Dass die Frau ihre Ergänzungsleistungen, die ja das Minimum der ersten Säule seien, auch noch teilen müsse, wirke nicht plausibel – aber aus sozialhilferechtlicher Sicht mache es Sinn.
Wegen Kritik: baldige Änderung?
Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos) beabsichtigte schon länger, ihre Empfehlung zum Konkubinatsbeitrag zu ändern. Vize-Präsidentin Claudia Hänzi schreibt auf Anfrage, die Skos werde das Urteil des Bundesgerichts sorgfältig analysieren. «Die Bemessung der Sozialhilfe bei Konkubinaten ist ein komplexes Thema, das immer wieder Anlass zu Diskussionen bietet.» Die Skos befasse sich im Rahmen der aktuellen Revision ihrer Richtlinien mit dieser Lebensform und überprüfe ihre Empfehlungen dazu.
Mit einem Entscheid sei aber erst im Frühling 2027 zu rechnen. Und danach liege es in der Kompetenz der Kantone, ob die geänderte Skos-Richtlinie in die jeweilige Gesetzgebung übernommen werde oder nicht.
Bundesgericht 8C_138/2024.