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Kostspielige Justiz Der Gang vor Gericht wird immer teurer: Das sind die Gründe

Wer seine Rechte gerichtlich durchsetzen will – zum Beispiel einen Erbteil einfordern –, geht ein Kostenrisiko ein. Eine Anwältin kostet zwischen 200 und 500 Franken pro Stunde, die Gerichtskosten betragen je nach Streitwert Tausende von Franken, und dazu kommen möglicherweise noch Kosten für Gutachten oder Schätzungen. SRF-Gerichtsreporterin Sibilla Bondolfi erläutert die wichtigsten Fragen zum Thema.

Sibilla Bondolfi

Gerichtskorrespondentin

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Sibilla Bondolfi ist seit 2023 Gerichtskorrespondentin von Radio SRF. Davor hat sie für den zehnsprachigen Online-Dienst Swissinfo gearbeitet. Sie ist promovierte Juristin im Bereich Verfassungsrecht und Menschenrechte.

Warum werden Rechtsstreitigkeiten immer aufwändiger, langwieriger und teurer?

Es gibt mehrere Gründe:

  1. Das Leben wird im Allgemeinen komplexer und damit auch das Recht – ohne (teuren) Anwalt geht fast nichts mehr.
  2. Mehrere Gesetzesrevisionen haben zwar die Rechte der Streitparteien gestärkt – gleichzeitig aber den Aufwand für die Gerichte vergrössert, etwa weil beide Parteien zu sämtlichen Eingaben Stellung nehmen dürfen.
  3. Die oberen Gerichte fordern von den unteren Instanzen immer ausführlicher begründete Urteile . Auch hier gilt: Was eigentlich die Rechte der Betroffenen stärken und die Qualität der Rechtsprechung verbessern soll, führt zu höheren Kosten.
  4. Die Gerichte fordern von den Anwältinnen und Anwälten immer gründlichere Begründungen , nichts darf vergessen werden, sonst geht die Klage bachab. Aus lauter Angst, vor einer Klientin schlecht dazustehen oder gar haftbar gemacht zu werden, machen die Anwälte und Anwältinnen also immer mehr Eingaben – und treiben damit ebenfalls die Kosten in die Höhe.

Für wen ist das besonders problematisch?

Der Mittelstand ist besonders betroffen, denn er hat keinen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege. Aber auch wer vom Existenzminimum lebt, trägt ein Risiko: Verliert die Person den Prozess (und das passiert bereits beim Verpassen einer Frist), muss sie der Gegenseite eine Entschädigung zahlen. Im schlimmsten Fall wird gepfändet.

Überspitzt gesagt: Nur wer entweder sehr vermögend ist oder den Ruin in Kauf nehmen will, kann prozessieren. Alle anderen müssen sich genau überlegen, ob sich eine Klage lohnt: Bei einer Erbschaft von 20'000 Franken beispielsweise übersteigen die Kosten sehr schnell den möglichen «Gewinn». Für die meisten ist also das Menschenrecht auf wirksamen Rechtsschutz infrage gestellt.

Warum tut die Politik wenig?

Vollkommen untätig ist die Politik nicht. So hat sie beispielsweise die Kostenvorschüsse reduziert, die Gerichte und Anwälte verlangen können. An den – im internationalen Vergleich sehr hohen – Gerichtskosten ändert sich damit allerdings nichts. Die Politik hat wenig Interesse daran, die Hürden zu einem Prozess zu senken. Schliesslich werden die Gerichte aus Steuergeldern finanziert. Wenn das Prozessrisiko für den Einzelnen gesenkt würde, gäbe es vermutlich mehr Fälle – und das würde die Staatskasse belasten.

Die Fassade mit Eingang zum Kantonsgericht Obwalden in Sarnen.
Legende: Die Fassade mit Eingang zum Kantonsgericht Obwalden in Sarnen. (05.02.2020) KEYSTONE/Urs Flueeler

Echo der Zeit, 14.08.23, 18:30 Uhr ; 

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