Die Krankenkassenprämien steigen im nächsten Jahr um 8.7 Prozent. Bundesrat Alain Berset nimmt Stellung.
SRF News: Sie haben heute den steilsten Prämienanstieg Ihrer Amtszeit bekannt gegeben. Wer ist schuld dran?
Alain Berset: Wir sagen seit Jahren, dass es ein Problem geben wird, wenn man die Transparenz und die Steuerung nicht erhöht. Man muss aber auch sehen: Seit 2018, mitsamt nächstem Jahr, belief sich die mittlere Erhöhung auf 2.4 Prozent. Aber natürlich sind 8.7 Prozent ein Problem.
Letztes Jahr waren es bereits 6.6 Prozent.
Das stimmt. Die Kosten steigen überall. Alle Elemente gehen in die falsche Richtung. Und am Ende müssen die Prämien die Kosten decken.
Kritiker sagen, Sie hätten in den letzten Jahren viel mehr machen können: zum Beispiel beim Tardoc, dem Ärztetarif. 600 Millionen Franken hätte man einsparen können.
Wir wollen das unbedingt. Aber die Analyse des Bundesamts für Gesundheit (BAG) beim letzten Vorschlag hat gezeigt, dass die Umsetzung des Tardocs nicht zu Einsparungen geführt hätte, sondern zu Mehrkosten. Deshalb hat der Bundesrat gesagt: Das können wir nicht genehmigen.
Schon 2018 haben wir gesagt: Jetzt sind wir am Limit von dem, was wir eigenständig machen können.
Die Behauptung, dass es Einsparungen gegeben hätte, ist also falsch. Der Bundesrat hat alles an Einsparungen gemacht, die er selber tätigen konnte: eine Milliarde bei den Medikamenten, eine halbe Milliarde bei Tarmed, 140 Millionen bei den Listen der Analysen. Bereits 2018 haben wir gesagt: Jetzt sind wir am Limit von dem, was wir eigenständig machen können. Wir brauchen jetzt Gesetzesänderungen, wir brauchen jetzt das Parlament.
Es gibt verschiedene Vorschläge der Parteien. Die FDP will eine Grundversicherung Light. Was halten Sie davon?
Gar nichts. Sinn und Zweck des ganzen Systems ist es, einen guten Zugang zu einem guten Grundleistungskatalog sicherzustellen. Wir müssen an den Kosten arbeiten, aber nicht den Katalog kürzen.
Der Wettbewerb zwischen den Kassen funktioniert gut.
Die Zürcher Regierungsrätin Natalie Rickli stellte jüngst die Abschaffung der Grundversicherung zur Diskussion. Ist das kein Thema?
Man muss nur einen Blick in die Zeit werfen, in der es kein Obligatorium in der Schweiz gab. Da waren die Leute nicht versichert, und es gab grosse Schwierigkeiten bei gesundheitlichen Problemen. Das Obligatorium war ein grosser Fortschritt.
Aus Ihrer Partei stammt der Vorschlag einer Einheitskrankenkasse. Was sagen Sie dazu?
Ich bin sehr überrascht, von allen Seiten neue Stimmen zu hören, die jetzt mit dieser Idee spielen. Der Bundesrat war immer dagegen, weil wir gesagt haben: Das ist nicht das Hauptproblem. Der Wettbewerb zwischen den Kassen funktioniert gut.
Ein weiterer Vorschlag sieht einkommensabhängige Prämien vor: Je mehr man verdient, desto mehr würde man demnach an Prämien zahlen.
Das ist Ziel und Zweck der Prämienverbilligungen. Der Bund bezahlt nächstes Jahr mehr als drei Milliarden Franken an die Prämienverbilligungen. Die Kantone sollten das Gleiche machen. Gewisse machen mehr, andere weniger; aber es sind die Kantone, die am besten entscheiden können, wie man die Prämienverbilligungen einkommensabhängig verteilt.
Es werden immer mehr Leistungen gebraucht, und jede Leistung kostet mehr.
Je mehr Leistungen erbracht werden, desto mehr verdienen die Spitäler, die Therapeutinnen, die Ärzte. Warum haben Sie dieses Grundproblem nicht angepackt?
Das stimmt. Aber wie soll man das anpacken?
Etwa mit einer flächendeckenden, integrierten Grundversorgung – und mit einer rigorosen Qualitätskontrolle.
Zum ersten Punkt: Das haben wir versucht, und es ist im Parlament abgelehnt worden. Und die Qualität stand im Zentrum von den Kostenzielen, die wir verankern wollten. Wir wollten das jedes Jahr mit jedem Leistungserbringer machen. Aber am Ende hat das Parlament gesagt: nur alle vier Jahre, und nur für das gesamte Gesundheitssystem.
Jetzt haben wir den Prämien-Hammer. Ist es jetzt damit vorbei, oder kommt der nächste schon nächstes Jahr?
Ich weiss es nicht. Das ist von sehr vielen Faktoren abhängig. Aber der Kostenanstieg scheint sich im Moment nicht abzuschwächen. Es werden immer mehr Leistungen gebraucht, und jede Leistung kostet mehr. Das heisst: Es geht weiter so. Und das ist ein Teil des Problems.
Das Gespräch führte Urs Leuthard.