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Kritik an Altersheim-Betreiber Pflegerinnen belasten ihren Arbeitgeber

  • Zu wenig Personal, vernachlässigte Bewohner: Alters- und Pflegeheime der Senevita-Gruppe stehen in der Kritik.
  • Eine 24-Stunden-Reportage der «Rundschau» sollte zeigen, was an den Vorwürfen dran ist.
  • Es kam anders, als sich das die Geschäftsleitung wünschte.

Es sind happige Vorwürfe, welche die «Rundschau» von ehemaligen und aktuellen Angestellten aus den Senevita-Pflegeheimen erreichen. Eine Pflegefachfrau erzählt: «Wir sollten jemanden duschen, waren aber zwei Leute zu wenig an diesem Morgen, ja dann duschen wir die Leute halt nicht.»

Man findet im Frühdienst ganz oft Bewohner, die verstuhlt sind, bei denen die Windelhose ausgelastet und das ganze Bett schmutzig ist.
Pflegerin in einem Senevita-Heim

Eine andere Pflegende, die eine leitende Position hatte, berichtet: «Man findet im Frühdienst ganz oft Bewohner, die verstuhlt sind, bei denen die Windelhose ausgelastet und das ganze Bett schmutzig ist».

Auch Angehörige äussern sich kritisch. Ein Mann erzählt, beim Besuch seiner Grosstante habe er beobachtet, «wie eine Praktikantin, die nicht ausgebildet war, Leute aus den Stühlen gehievt und in den Rollstuhl gesetzt hat».

Hannes Witter, CEO von Senevita, verweist auf die Bewohner-Umfragen, welche Senevita durch ein unabhängiges externes Institut habe durchführen lassen. Diese zeigten ein anderes Bild als die Einzelfallschilderungen: «97 Prozent unserer Bewohner würden uns weiterempfehlen und die Zufriedenheit unserer Bewohner ist sehr hoch». Witter betont, man habe genügend qualifiziertes Personal und man halte sich an die kantonalen Vorgaben. Meist übertreffe man diese sogar.

Vor der Kamera alles gut

Die «Rundschau» wollte sich ein eigenes Bild machen. Mit Erlaubnis von Senevita durfte sie 24 Stunden lang in einem der vielkritisierten Heime drehen, im Sonnepark Pratteln. Die Reportage ergab ein grundsätzlich positives Bild.

Die meisten Bewohner sagten vor der Kamera, dass sie sich wohl fühlen: «Mir hat es von Anfang an gut gefallen hier», sagt eine alte Frau und lobt die engagierten Angestellten. Die Pflegenden sind herzlich zu den Bewohnern und scheinen ihren Job mit Freude auszuführen. Ein paar Wochen nach den Dreharbeiten und noch bevor der TV-Beitrag überhaupt ausgestrahlt worden ist, relativiert sich das positive Bild aber merklich.

Wir nehmen Rückmeldungen und Anregungen sehr ernst und gehen ihnen immer nach.
Autor: Hannes Witter CEO der Senevita

Die «Rundschau»-Redaktion erhält ein anonymes Schreiben, unterzeichnet von «Senevita Mitarbeiter Region Basel». Sie schreiben unter anderem: «Die Bewohner, vor allem solche, die stark pflegebedürftig sind, sind unterversorgt und vernachlässigt».

Hannes Witter, der CEO der Senevita sagt dazu: «Wenn ich sehe, was unsere Pflegenden tagtäglich für unsere Bewohnerinnen und Bewohner leisten, kann ich diese Aussage so nicht akzeptieren». Er betont, dass bei Senevita die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner im Zentrum steht: «Wir nehmen Rückmeldungen und Anregungen sehr ernst und gehen ihnen immer nach. Selbstverständlich halten wir alle Vorgaben bezüglich Pflege und Betreuung ein».

Leiterin zieht Interview zurück

Doch es kommt noch dicker: Einige Tage nach dem Brief der Angestellten teilt die Heimleiterin von Pratteln der «Rundschau» per Mail mit, sie wolle ihr Interview zurückziehen. Die «Rundschau» erfährt ausserdem, dass im Heim Pratteln seither mehrere Personen gekündigt haben – darunter eine der Pflegenden, die das Rundschau-Team begleitet und interviewt hat.

Übernahme durch Pflegekonzern

Die Kritik an Senevita kommt mehrheitlich aus Heimen, die erst in den letzten Jahren eröffnet worden sind. Seit 2014 ist die Senevita-Kette von 13 auf 25 Betriebe gewachsen – und damit der zweitgrösste private Anbieter in der Schweiz. Senevita wurde einst von einem Schweizer gegründet und ist 2014 vom französischen Pflegekonzern Orpea gekauft worden. Das ist weltweit einer der grössten Player im Pflegemarkt.

Orpea hat einen Börsenwert von über 7 Milliarden Schweiz Franken. Im Jahr 2016 betrug das Umsatzvolumen von Orpea 2,8 Milliarden Euro. Der Konzern ist stark auf Wachstum getrimmt und aktuell in zehn Ländern in Europa und China tätig. In der Schweiz wurden gleich mehrere neue Heime eröffnet, seit Orpea Besitzerin von Senevita ist.

Ich habe den Eindruck, seit der Übernahme von Orpea ist es die Geschäftspolitik von Senevita, Gewinn zu maximieren.
Autor: Udo Michel Unia

Das Streben nach Wachstum und Gewinn sei schädlich für Angestellte und Bewohner, monieren Gewerkschaften aus verschiedenen Ländern, in denen Orpea tätig ist. In der Schweiz wird Orpea von den Gewerkschaften VPOD und Unia kritisiert.

Udo Michel von der Unia sagt: «Ich habe den Eindruck, seit der Übernahme von Orpea ist es die Geschäftspolitik von Senevita, Gewinn zu maximieren». Dies würde vor allem über die Reduktion von Personal geschehen. Die Unia habe übermässig viele Meldungen von Angestellten aus Senevita-Heimen.

Senevita lässt die Kritik nicht gelten. «Die Zugehörigkeit zu unserem Mutterhaus Orpea bietet uns und unseren Bewohnerinnen und Bewohnern sowie den Mitarbeitenden Vorteile. Wir profitieren von diesem Netzwerk von Experten, die Kliniken und Heime in ganz Europa betreiben», teilte sie mit.

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