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Kritische Themen China und die Selbstzensur an der Universität Genf

Der Umgang mit China ist eine Herausforderung. Auch in der Schweiz lässt die Regierung in Peking Dissidenten überwachen und beeinflusst die Arbeit des UNO-Menschenrechtsrats in Genf. Das haben die Tamedia-Zeitungen diese Woche anhand konkreter Fälle gezeigt.

Allen Bedenken zum Trotz hat die Universität Genf in den letzten Jahren die Zusammenarbeit mit Peking stark ausgebaut. Die chinesische Universität Renmin in Peking schickt seit 2011 jährlich etwa zehn Jus-Studierende und auch Professoren nach Genf. Der chinesische Staat finanziert das Programm.

Gaststudierende wollen neue Perspektiven

Auch in den Vorlesungen von Völkerrechtsprofessor Marco Sassòli sassen Gaststudierende. Was ihm eine Chinesin in einem persönlichen Gespräch anvertraute, hinterliess bei Sassòli ungute Gefühle.

Die Studentin sprach davon, Genfer Professoren würden eine Art Selbstzensur üben und für China heikle Themen systematisch übergehen. Laut Sassòli sei sie erstaunt gewesen, denn «eigentlich sei sie hierhergekommen, um andere Perspektiven zu sehen».

Menschen in Vorlesung, aufmerksames Zuhören.
Legende: Chinesische Studierende müssen für die Stipendien versprechen, dass sie die chinesischen Werte und Perspektiven im Ausland vertreten. Symbolbild/KEYSTONE/Martin Ruetschi

Über die Gründe kann Sassòli nur spekulieren. Vielleicht habe man in Genf schlicht die chinesische Staatsmacht nicht verärgern wollen. Vielleicht habe man aber auch die chinesischen Studierenden schützen wollen. Denn: «Es gibt immer den Verdacht, dass es Aufpasser gibt.»

Beim Vorgehen der Professoren handle es sich wohl um vorauseilenden Gehorsam. «Ich habe keinen Anlass zu glauben, dass sie von irgendjemand Instruktionen bekamen», sagt Sassòli.

«Chinesische Studierende werden gleich behandelt»

Rechtsprofessor Thomas Schultz ist an der Universität Genf zuständig für das Kooperationsprogramm mit der Universität Renmin. Er stellt klar: Man behandle chinesische Studierende gleich wie alle anderen. Es sei sogar eine Form helvetischer Softpower, wenn ausländische Studierende an Schweizer Universitäten unterrichtet würden.

Dennoch sind auch Schultz Eigenheiten im Umgang mit China aufgefallen. Die Auswahl der Gaststudierenden nimmt weitgehend die Uni in Peking vor und stellt im Verfahren auch die Fragen zu Menschenrechten. Schultz in Genf hat ein Mitspracherecht.

Das letzte Mal betrafen die Fragen die Rechte des ungeborenen Kindes. Er hätte sehr wohl intervenieren und den chinesischen Studierenden Fragen zum Umgang mit Minderheiten stellen können, sagt Schultz.

Wenn bestimmte Themen nicht angesprochen werden, wird der Versuch Chinas unterstützt, die Wahrheit zu unterdrücken.
Autor: Ariane Knüsel Historikerin und China-Expertin

Der Austausch geht in beide Richtungen. So habe vor vier Jahren eine Genfer Menschenrechtsprofessorin an der Partneruniversität in Peking eine Vorlesung zur Todesstrafe gehalten. Jedem im Raum sei klar geworden, dass China mit seiner Praxis Menschenrechte verletzte. Die Vorlesung habe keine Konsequenzen gehabt. Dennoch sässen bei Referaten von Genfer Professoren in China jeweils Personen im Saal, die die Inhalte prüften.

«Selbstzensur hat hier nichts verloren», sagt Historikerin und China-Expertin Ariane Knüsel. Denn die Schweizer Universitäten hätten den Anspruch auf höchsten Standard zu forschen und zu lehren. «Wenn man bestimmte Themen nicht anspricht, unterstützt man Chinas Versuch, die Wahrheit zu unterdrücken.» 

Stipendien fordern Loyalität zur Heimat

Chinesische Studierende müssen für die Stipendien versprechen, dass sie die chinesischen Werte und Perspektiven im Ausland vertreten, sagt Knüsel. Wenn sich hierzulande die Schweizer Professoren selbst zensieren, seien die chinesischen Studierenden einer doppelten Zensur unterstellt.

Echo der Zeit, 14.05.2025, 18 Uhr

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