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Kritisierte Fehlanreize Millioneneinkommen für Chefärzte: Wie gesund kann das sein?

Chefärzte sind oft am Umsatz eines Spitals beteiligt, was die Gesundheitskosten erhöht. Jetzt fordern Politiker mehr Kostentransparenz.

Über Ärzte-Einkommen von bis zu 2,5 Millionen Franken lässt sich schon aus moralischer Perspektive trefflich streiten. Was aber, wenn diese Saläre nur deshalb so hoch sind, weil Ärzte unnötige Leistungen erbringen? Dann wird aus der Lohndebatte plötzlich eine Diskussion um die Kostensteigerung im Gesundheitswesen.

Der Vergütungsexperte Urs Klingler schätzte in umfassenden Hochrechnungen für die «Rundschau» die Einnahmen von Chef- und Belegärzten in Schweizer Spitälern auf 350'000 bis 2,5 Millionen Franken pro Jahr. In Zeiten, in denen der Gesundheitsminister intensiv mit Experten und Interessenvertretern um eine Reduktion der Gesundheitskosten ringt, lassen solche Zahlen natürlich aufhorchen – aber nicht primär wegen der Summe an sich.

«Man muss sich ja immer fragen, ob ein Gehalt über einer Million Franken überhaupt jemals angemessen ist und ob man das noch redlich verdienen kann», hält CVP-Nationalrätin Ruth Humbel gegenüber SRF News fest. «Aber es kann bestimmt nicht sein, dass Ärzte mehr verdienen, weil sie mehr medizinische Leistungen erbringen.»

Boni haben im Gesundheitswesen ganz grundsätzlich nichts zu suchen.
Autor: Ruth Humbel Nationalrätin CVP/AG

Gemeint ist dabei, wenn Ärzte über Zusatzzahlungen am Umsatz eines Spitals beteiligt sind, wie das bei manchen Chef- und Belegsärzten heute der Fall ist.

Es sind vor allem solche variablen Lohnbestandteile, welche die Chefarzteinkommen derart in die Höhe treiben, meint Vergütungsexperte Klingler. Neben der vertraglich geregelten Umsatzbeteiligung gehöre auch die Möglichkeit dazu, dass Ärzte ihre Privatpatienten selbst abrechnen dürften.

Die Rolle der Spitäler

«Mit der Einführung der Fallpauschalen im Spitalbereich 2012 sollten in der Grundversicherung eigentlich keine solche Fehlanreize bestehen», sagt Thomas de Courten, Präsident der Gesundheitskommission des Nationalrats. Der SVP-Nationalrat spricht darauf an, dass mit der neuen Spitalfinanzierung im stationären Bereich pro Diagnose abgerechnet wird, egal welche Behandlung der Arzt beim Patienten durchführt. Das sollte unnötige Leistungen eigentlich mindern, so die Idee.

Dass die neue Spitalfinanzierung wirklich Kosten dämme, hat sich für SP-Politikerin Bea Heim nicht erwiesen. «Vielmehr stehen die Spitäler zunehmend unter Druck, sich unternehmerisch zu profilieren», sagt die Nationalrätin und widerspricht damit ihrem Kollegen in der Kommission, de Courten: «In ihren Bemühungen, ihre wirtschaftlichen Ziele zu erreichen, setzen sie Boni und Umsatzbeteiligung ein, um mit solchen finanziellen Anreizen die Chefärzteschaft dazu zu bringen, die Zahl an lukrativen Eingriffen zu erhöhen und möglichst oft zu operieren.» Heim sieht vor allem die Kantone in der Verantwortung, die Spitäler dazu zu bewegen, von Boni und Umsatzbeteiligungen an die Ärzteschaft abzusehen.

Ähnlicher Meinung ist Joachim Eder, langjähriger Zuger Gesundheitsdirektor und Präsident der ständerätlichen Gesundheitskommission. «Eine Zweiteilung zwischen Grundlohn und Bonuszahlungen wie in der Privatwirtschaft ist im öffentlichen Gesundheitswesen nicht angebracht», meint der Freisinninge. Top-Mediziner sollten angemessen entlöhnt werden, aber über den Fixlohn. Auch Eder sieht bei Umsatzbeteiligungen die Gefahr von Fehlanreizen. Es dürfe nicht sein, dass die Entlöhnung von Chefärzten unnötige Gesundheitskosten generiere.

Eine Zweiteilung zwischen Grundlohn und Bonuszahlungen wie in der Privatwirtschaft ist im öffentlichen Gesundheitswesen nicht angebracht.
Autor: Joachim Eder Ständerat FDP/ZG

Mehr Transparenz gefordert

Die Einnahmen der Chef- und Belegärzte in den Spitälern musste für die «Rundschau» geschätzt werden. Weder der Bund, der Spital- oder der Ärzteverband haben entsprechende Daten. Bundesrat Alain Berset fordert gegenüber der «Rundschau», dass die Diskussion um die Löhne der Spitzenmediziner offener geführt werden müsse. Die Ärzte weigerten sich, ihre Löhne zur Debatte zu stellen.

Einen offenen Umgang mit dem Thema fordert auch SVP-Nationalrat Thomas de Courten. Er zeigt sich gegenüber SRF überrascht, dass es offensichtlich immer noch nicht richtig gelingt, mehr Klarheit über die Kosten in der Grundversicherung zu schaffen. Er erwartet bezüglich den Leistungen in der Grundversicherung volle Transparenz, auch von der Ärzteschaft.

Und Ruth Humbel fügt an, dass künftig alle Spitäler, die auf den kantonalen Spitallisten fungieren, die Lohninformationen über Chef- und Belegärzte ausweisen sollten.

Der Präsident des Ärzteverbandes FMH, Jürg Schlup, verteidigt die hohen Einnahmen der Spitzenmediziner: «Die Chefärzte sind eine kleine Elite, genau vier Prozent der berufstätigen Ärzteschaft. Sie haben eine hohe Verantwortung. Sie müssen höchsten Anforderungen genügen und arbeiten bis zu 80 Stunden pro Wochen. Und es geht jeden Tag um Leben und Tod.»

Mit den neuesten Zahlen der «Rundschau» kommt die Ärzteschaft politisch weiter unter Druck. Von links bis rechts wird mehr Transparenz gefordert. Doch auch die Spitäler stehen in der Pflicht, unnötige Behandlungen zu verhindern. Wie schon bei der Diskussion um den Tarmed dürfte auch in der Debatte um Chefarzt-Löhne mit harten Bandagen gekämpft werden: Denn überall dort, wo Fehlanreize verschwinden sollen, geht manchen auch Geld abhanden.

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