Dass einzelne Gemeinderatsmitglieder bei einem Geschäft in den Ausstand treten müssen, kommt immer wieder vor. Die Gemeinderätin, weil sie im Verwaltungsrat einer involvierten Baufirma sitzt – oder der Gemeinderat, der an seinem eigenen Haus einen Anbau plant. Im aargauischen Wittnau führte die Befangenheit der Mitglieder aber dazu, dass der Gemeinderat komplett ausser Gefecht gesetzt wurde.
Da war es plötzlich nur noch einer
«Sanierung Kehrstrasse-Langmattstrasse» – das ist das Traktandum, das die Gemeinde vor eine aussergewöhnliche Herausforderung stellte. Es ist eine knapp einen Kilometer lange Quartierstrasse durch die 1100-Seelen-Gemeinde im Fricktal. So weit, so gut. Das Problem, das dieses Traktandum mit sich brachte, wurde dem Gemeinderat erst an einer Sitzung im August bewusst. Da realisierten sie plötzlich, dass vier der fünf Mitglieder an der betroffenen Strasse wohnen.
Damit war klar: Die vier Gemeinderatsmitglieder waren befangen und mussten in den Ausstand treten. Übrig blieb Gemeinderat Oliver Hassler, der als einziger nicht an dieser Strasse wohnt.
Da mussten wir alle ein bisschen schmunzeln.
Dass so viele Mitglieder an dieser Strasse wohnen, verwundert Hassler nicht: «Es ist die Sonnenseite von Wittnau.» Als einziger, der auf der Schattenseite wohnt, konnte Hassler das Geschäft allerdings nicht bestreiten. Das geht in einer Demokratie nicht. «Als wir während der Sitzung die ungewöhnliche Situation erkannten, mussten wir alle ein bisschen schmunzeln», erzählt Hassler. Gleichzeitig kam die Frage auf: wie weiter?
Kanton Aargau hatte Lösung bereit
Der Gemeinderat wandte sich an den Kanton. Eine gesetzliche Regelung, wie in einem solchen Fall zu verfahren sei, gibt es nicht. Der Kanton sei jedoch dazu verpflichtet, die Verhandlungsfähigkeit des Gemeinderats sicherzustellen, heisst es vom kantonalen Innendepartement. Die Lösung: Zwei in Wittnau stimmberechtigte Personen sollen als Ersatzgemeinderäte in die Pflicht genommen werden.
In einem kleinen Dorf wie Wittnau war das kein Problem. «Man kennt sich», sagt Gemeinderat Oliver Hassler. Schnell waren zwei kompetente Personen gefunden. Stefan Buser, der in der Baubranche tätig ist, und Tamara Bründler, die sich als Geschäftsstellenleiterin einer Bank mit Finanzen auskennt.
Kaum eingebürgert, schon in der Politik
Für sie sei das Thema «Strassenbau» eine komplett fremde Materie gewesen, erzählt Tamara Bründler. «Die Aufgaben als Ersatzgemeinderätin finde ich darum sehr spannend und lehrreich.» Speziell sei es für sie auch, weil sie in Wittnau nicht einheimisch, sondern zugezogen ist. Als gebürtige Deutsche hat sie erst vor rund eineinhalb Jahren die Schweizer Staatsbürgerschaft erhalten und engagiert sich jetzt schon in der Dorfpolitik.
Zurück zum Sanierungsprojekt «Kehrstrasse-Langmattstrasse»: Das stand eigentlich an der Gemeindeversammlung Ende November auf der Traktandenliste. Bei einer Infoveranstaltung mit den Anwohnerinnen und Anwohnern ein paar Tage davor seien jedoch viele kritische Fragen eingegangen, erklärt Gemeinderat Oliver Hassler. Darum hat der Ersatzgemeinderat entschieden, das Traktandum vorerst zurückzuziehen und es im Juni nochmals auf den Tisch zu bringen.
Ob die kritischen Fragen von den anwohnenden Gemeinderätinnen und Gemeinderäten kamen, das entzieht sich unserer Kenntnis.