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Lehrmittel von Privaten Der gesponserte Schweizer Unterricht

Vertreter von Swisscom, Max Havelaar und Victorinox als Lehrer? Private drängen in die öffentliche Bildung.

Bei der 8. Klasse in Bolligen im Kanton Bern ist heute quasi die Swisscom Lehrer. An der Tafel vorne steht Michael In Albon. Man sieht ihm zwar nicht an, dass er von einem Unternehmen beauftragt ist, doch dies ist eine gesponserte Unterrichtsstunde. Arbeitsblätter, Materialien – alles von der Swisscom.

Die Firma hofft, dass ihre Marke so positiv in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler haften bleibt. «Wir missbrauchen die Schüler nicht zu Werbezwecken», sagt In Albon, «es ist absolut zentral, dass die Inhalte unserer Kurse und Lehrmittel neutral sind». So lange dies gegeben sei, sähe er kein Problem.

Lehrerverband mahnt zur Vorsicht

Die Swisscom ist bei weitem nicht die einzige Schweizer Firma, die mit ihrer Marke in die Schulen drängt. Auf Online-Portalen wimmelt es von Unterrichts-Material von Privaten: so lädt die Axpo ein, die Welt des Stroms zu entdecken, Zweifel belehrt über die Geschichte des Kartoffelchips und Victorinox doziert über das Werkzeug im Wandel der Zeit.

Beat W. Zemp, der oberste Lehrer der Schweiz, mahnt bei solchen gesponserten Lehrmitteln zur Vorsicht. Sie würden für Private zunehmend zum Geschäft. «Problematisch wird es, wenn Produktwerbung drin ist, die Firma ihr Logo auf die Arbeitsblätter druckt oder wenn sie Falschaussagen verbreitet.»

Regeln für private Lehrmittel

Im Gegensatz zu obligatorischen Lehrmitteln wird ergänzendes Unterrichtsmaterial, wie jenes der Privaten, von keiner Kommission geprüft. Der Lehrerdachverband hat für solche Lehrmittel vor zwei Jahren deshalb Regeln definiert. Wer diese Charta unterzeichnet, verpflichtet sich, die Regeln zu beachten. Die Swisscom hat das getan, zusammen mit über 40 anderen Unternehmen, Verbänden und Organisationen.

Das reicht den bürgerlichen Parteien mehrerer Kantone nicht. Die Charta konzentriere sich nur auf Unternehmen, sagt Marc Bourgeois von der Zürcher FDP, «Greenpeace, Amnesty International und alle anderen Nichtregierungs-Organisationen haben das nicht unterschrieben».

Die Zürcher FDP will die politische Ausgewogenheit im Bildungsgesetz verankern. Der Vorstoss kommt nächstes Jahr in den Kantonsrat. Auch in anderen Kantonen sind ähnliche Vorstösse hängig.

Unterrichtsmaterial der FDP

Laut Beat Zemp gilt die Charta auch für Nichtregierungs-Organisationen, obwohl erst wenige diese unterzeichnet haben. Doch es gibt noch andere, die Lehrmittel anbieten und sich nicht zur Charta verpflichtet haben.

Darunter ausgerechnet die FDP. Die Partei bietet Unterrichtsmaterial zu den Grundlagen der Politik an. «Es ist klar, dass auch Parteien ihre Meinungen den Schülerinnen und Schülern näherbringen wollen», sagt Bourgeois, «das kann man nicht verhindern». Man könne jedoch verhindern, dass Lehrpersonen diese Meinung einseitig wiedergeben.

Zurück bei der 8. Klasse in Bolligen. Klassenlehrer Thomas Meyer glaubt nicht, dass er sich einspannen lässt, wenn er einen Mitarbeiter der Swisscom an die Tafel lässt. «Wir können nicht losgelöst von der Gesellschaft Schule geben», so Meyer, und zur Gesellschaft gehörten auch private Organisationen.

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