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Leichtgläubige Skeptiker Youtuber erfindet Impfschaden – selbst Ärzte fallen darauf rein

Ein Winterthurer Informatiker hat mit einem Experiment die Szene der Corona-Skeptikerinnen und -Skeptiker vorgeführt.

Das Coronavirus, die Massnahmen der Behörden und die Impfung werden kontrovers diskutiert. Und sie geben Anlass für viele Falschinformationen und Verschwörungstheorien, die sich in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Telegram rasend schnell verbreiten. Diese Dynamik hat ein Youtuber aus Winterthur mit einem Selbstexperiment aufgezeigt – und plötzlich hatte seine Website innert weniger Tage 100'000 Klicks.

Sascha, ein 33-jähriger Informatik-Freelancer mit bosnischen Wurzeln, rieb sich die Augen. «Unglaublich.» Und das alles wegen eines sensationsheischenden pseudowissenschaftlichen Artikels über die Folgen der Impfung, den sich Sascha diesen Sommer als Jux ausgedacht hatte. «Es war ein Streich», sagt er. Einer, der nun Schlagzeilen macht.

Kunstfigur erfolgreich im Netz

Aber von vorne: Als «Sputim» synchronisiert Sascha seit gut 15 Jahren Szenen aus Action- und Trickfilmen im sogenannten Balkan-Slang neu – mit derber Sprache und einem etwas infantilen Humor. Manche seiner Videos wurden auf Youtube schon mehr als eine halbe Million Mal angeklickt. Eine Botschaft hätten seine Videos nie gehabt, sagt Sascha.

Aber dieses Jahr begann er sich die Corona-Skeptiker und Impfgegner vorzuknöpfen, nachdem er beim Nachrichtendienst Telegram auf eine impfkritische Gruppe aus der Schweiz mit über 32'000 Mitgliedern gestossen war. «Diese Verschwörungstheorien sind oft so absurd, viele glauben sprichwörtlich alles, was sie lesen, sie meinen, das sei Fakt.»

Nonsens aus dem Netz kopiert

Das habe ihn gereizt, ein Experiment zu starten. Im Sommer richtete er einen Blog mit dem Namen Lichtmacher ein und veröffentlichte dort einen haarsträubenden Text über irreparable Impfschäden an Kindern, die von den Behörden verschwiegen würden. Er beschrieb das erfundene Sputim-Krankheitsbild mit vielen blutigen Details und Fremdwörtern, die er sich im Internet zusammengesucht hatte. «Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass es keinen Sinn ergeben hat.» So schrieb er unter anderem, dass das Hirn der betroffenen Kinder durch die Schädeldecke breche.

Viele glauben sprichwörtlich alles, was sie lesen, sie meinen, das sei Fakt.
Autor: Sascha Youtuber

«Jeder, der nur ein Prozent Ahnung hat von der Materie, hätte sofort gewusst, das ist Bullshit», so Sascha. Und trotzdem: Kaum hatte er den Link zu seinem Fake-Artikel in der Telegram-Gruppe veröffentlicht, wurde er schon innert weniger Minuten wie wild verbreitet. Ganz offensichtlich hatten viele Nutzerinnen und Nutzer nicht viel mehr als den Titel gelesen.

Vor allem Accounts aus Deutschland teilten den Artikel rege, zum Beispiel eine deutsche Corona-skeptische Ärztevereinigung, einzelne AfD-Politiker und sogar der deutsche Sänger Xavier Naidoo, der in den letzten Jahren mit einem Hang zu Verschwörungstheorien aufgefallen ist. Ende August löste Sputim seinen Scherz in einem Youtube-Video auf, in dem er sich über jene lustig machte, die darauf hereingefallen waren.

Sputim weiss, was seine Fans wollen

«Es hat sich mal wieder gezeigt, dass die, die sich Skeptiker nennen, und alles infrage stellen, alles glauben, solange es ihrem verstörten und paranoiden Weltbild entspricht.» Seither haben zahlreiche Medien wie das Online-Magazin « Watson » über Saschas Corona-Streich berichtet. Im Netz wird er gefeiert, weil er die Fake-News-Maschinerie entlarvt habe.

Er selbst sagt, es sei ihm klar, dass er mit seiner Aktion wohl niemanden aus dem impfkritischen Lager zum Umdenken bewogen habe. Aber Sascha alias Sputim will weitermachen. Er hat bereits zwei weitere Videos zu Corona veröffentlicht, garniert mit derben Sprüchen. Denn trotz der ernsten Thematik weiss er, was seine Fans von ihm erwarten.

Echo der Zeit, 08.10.2021, 18:00 Uhr

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