«Mindsteps» heisst das Programm, nun in Schulen der Kantone Aargau, Solothurn sowie beider Basel benutzt wird. Schülerinnen und Schüler der Unterstufe müssen am Computer anhand von 25'000 Aufgaben für Deutsch, Englisch, Französisch und Mathematik selber testen, ob sie den Stoff begriffen haben. Das Resultat geht dann automatisch zum Lehrer. Die Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm sieht das kritisch.
SRF News: Kinder, die durch einen Algorithmus getestet werden, ist das eine gute Idee?
Margrit Stamm: Ich bin sicher, dass das Konzept sehr gut konzipiert ist und die Idee an sich gut. Aber es gibt ein paar Vorbehalte. So dürfte das Projekt vor allem guten Schülerinnen und Schülern mit einem hohen Selbstbewusstsein Vorteile bringen. Für ängstliche oder eher leistungsschwache Kinder sehe ich Probleme.
Warum ist es für Leistungsschwächere ein Problem?
«Mindsteps» ist eigentlich eine digitale Selbstvermessung. Das Projekt gibt Normen vor. Je mehr sich Lernende an Massstäben orientieren müssen, desto mehr steigen Druck und Verunsicherung, wenn es nicht klappt. Wer die Aufgaben gut löst, erhält ein positives Feedback, welches das Selbstbewusstsein steigert. Jene am unteren Rand der Skala bekommen negative Rückmeldungen, was den grossen Leistungsdruck noch zusätzlich erhöht.
Was ist der Unterschied zwischen dem digitalen Feedback und der herkömmlichen Rückmeldung in Form einer schlechten Note?
Man muss zwischen dieser digitalen Selbstvermessung und einer Lehrperson unterscheiden. So kann eine gute Lehrperson viel mehr Rückmeldung geben und allenfalls andere Kompetenzen betonen.
Digitale Tests werten generell das Resultat zu stark, und das Zwischenmenschliche kommt zu kurz.
Im digitalen Feedback steht dagegen nur gut, schlecht oder zu wenig gelöst. Das ist die Problematik, dass digitale Tests generell das Resultat zu stark werten und das Zwischenmenschliche zu kurz kommt.
Das Projekt sieht die Lehrperson vermehrt als «Coach», der dank weniger Routinearbeit vermehrt auf Schüler eingehen kann. Tönt das nicht gut?
Es genügt überhaupt nicht, wenn man Lehrpersonen auf die Coaching-Funktion reduziert, denn so wertet man sich eigentlich ab. Viele Studien zeigen, dass die Feedback- und Beurteilungskompetenzen einer Lehrperson eine sehr grosse Rolle spielen.
Sind solche Computerprogramme die Zukunft an unseren Schulen?
Das befürchte ich. Die schulische Leistungskultur und der Leistungsdruck haben bereits ein Ausmass angenommen, dassKinder, Jugendliche und Eltern sehr stark herausfordert und zum Teil auch überfordert.
Wenn die Leistungskultur noch mehr angeheizt wird, muss man sich nicht wundern, wenn Kinder immer mehr psychische und körperliche Probleme bekommen.
Die ganze Digitalisierung sollte aber eher dazu verwendet werden, um die überfachlichen Kompetenzen, die so genannten Soft Skills, zu unterstützen. Wenn die Leistungskultur noch mehr angeheizt wird, muss man sich nicht wundern, wenn Kinder immer mehr psychische und körperliche Probleme bekommen.
Das neue Programm wird als Innovation verkauft. Will man damit auch teure Lehrkräfte einsparen?
Das kann sehr wohl sein. Ich kann mir auch vorstellen, dass das Programm teuer war und es jetzt darauf ankommt, ob es den Innovationen gerecht wird.
Ich bin aber überzeugt, dass es kein Programm gibt, das eine gute Lehrperson ersetzen kann. Das wäre die Achillesferse der Digitalisierung, wenn wir meinen, mit einem Digitalisierungsschub die Lehrerkosten senken zu können. Das wäre fatal.
Das Gespräch führt Nicoletta Cimmino.