Für manche Menschen mögen es bloss ein paar alte Songs auf rauschenden und knackenden Schallplatten sein – gespielt von Bands, deren Namen kaum jemand noch kennt: Kirk's Patrol, Day Flies, The 5 Dorados.
Für Urs Hangartner ist es mehr. Viel mehr.
«Das ist ein Schatz von unglaublichem Wert», sagt der Luzerner Kulturjournalist. «Er zeigt, dass Luzern schon früh eine Rock- und Popszene hatte, die sich nicht verstecken musste hinter jenen der grossen Städte.»
Rund 500 Luzerner Bands sind ausfindig gemacht
Diesen Schatz ist Hangartner dabei zu heben, zusammen mit den Musikern Roli Duss und Pit Furrer. Ihr Ziel: Das ultimative Lexikon zur Luzerner Rock- und Popgeschichte von 1960 bis 2000.
Jede Band, die irgendwann in dieser Zeit aus der Tiefe ihres Probekellers emporgekrochen ist und Konzerte gespielt hat, soll darin vorkommen. Eine wahre Detektivarbeit, die nun schon zehn Jahre andauert. Rund 500 Bands haben die drei bislang identifiziert.
Dass die Autoren seit den 1970er-Jahren in der Luzerner Kulturszene unterwegs sind, hilft bei der Recherche. Viele Musikerinnen und Musiker kennen sie persönlich, von ihnen erhalten sie kistenweise Material – Fotoalben, Verträge, Plakate. Alles wird gesichtet, gescannt, auf mehreren Festplatten abgespeichert.
Dabei gibt es aber immer wieder auch «Phasen der Verzweiflung», sagt Urs Hangartner. Teilweise werde ihnen zwar Material versprochen, aber auch nach wiederholtem Nachfragen nicht geliefert. «Heute sind sie Ärzte oder Anwälte, früher machten sie wilde Rockmusik – es scheint, als wollten diese Leute ihre Vergangenheit verleugnen», sagt er.
Schon vor dem Punk ging in Luzern so einiges
Dabei birgt diese Vergangenheit vieles, das in die Gegenwart hinübergerettet werden muss, ist Pit Furrer überzeugt. «Es heisst oft, Luzern sei vor allem für den Punk wichtig gewesen, mit dem ehemaligen Gefängnis Sedel, in dem 1981 ein alternatives Musikzentrum entstand», sagt er. «Aber wir fanden immer: Da war doch bestimmt noch mehr.»
Tatsächlich: Wie die drei Lexikonautoren feststellten, gab es in Luzern bereits in den 1960er-Jahren eine hohe Dichte an Bands – zu einer Zeit, als in der Schweiz das Musikprogramm von Radio Beromünster noch so klang, als sei der Rock'n'Roll nie erfunden worden.
Bands lernten Songs von ausländischen Radiosendern
«Sie hörten ausländische Radiosender und kauften die Platten englischer Bands, um deren Songs zu lernen», sagt Urs Hangartner. «Manche flogen nach London, um sich ein Outfit zu besorgen wie jenes der Beatles oder der Kinks.»
Manche Bands flogen nach London, um sich ein Outfit zu besorgen wie jenes der Beatles oder der Kinks.
Einige der Formationen konnten schöne Erfolge feiern. Die Day Flies etwa spielten 1969 als Vorband der englischen Small Faces. Und die Dorados – die als The 5 Dorados mit Beatmusik begonnen und sich dann in Richtung Schlager entwickelt hatten – traten 1974 in Rudi Carrells Samstagabendkiste «Am laufenden Band» vor einem Millionenpublikum auf.
Auch die Band Flame Dream, die Lexikon-Co-Autor Pit Furrer 1972 mitgegründet hatte, hat bis heute ein grosses Publikum – obwohl nur noch wenige die Band kennen dürften: Die SRF-Radiosendung «International» verwendet als Erkennungsmelodie ein namenloses Zusatzstück, das am Schluss einer LP von 1980 drauf war.
Anekdoten wie diese haben die Autoren des Luzerner Rock- und Poplexikons zuhauf gesammelt. Wann das Buch erscheint, ist jedoch auch nach zehn Jahren Arbeit offen – noch immer hätten sie nicht alle Informationen beisammen, sagt Pit Furrer. «Aber es gibt kein Zurück. Wir haben uns geschworen, wir bringen das Lexikon raus. Und dieser Schwur gilt.»