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Masseneinwanderungsinitiative «Die Schweiz machte es der EU einfach, auf Zeit zu spielen»

Sebastian Ramspeck

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Sebastian Ramspeck ist SRF-Korrespondent in Brüssel. Zuvor arbeitete er als Wirtschaftsreporter für das Nachrichtenmagazin «10vor10». Ramspeck studierte Internationale Beziehungen am Graduate Institute in Genf.

Das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative schrieb eine Beschränkung der Zuwanderung in die Verfassung und gab dem Bundesrat den Auftrag, in Brüssel über eine Aufweichung die Personenfreizügigkeit zu verhandeln. Dass das nicht einfach werden würde war allen klar, trotzdem gab es eine gewisse Zuversicht.

Dieser Optimismus war auch etwas naiv, sagt Brüssel-Korrespondent Sebastian Ramspeck und erklärt, wieso eine rasche Verbesserung der Beziehungen zur EU unwahrscheinlich ist.

SRF News: Drei Jahre lang versuchte man mit der EU zu verhandeln, sprach unter anderem über Kontingente oder eine Schutzklausel, aber die EU blieb hart. War für Sie klar, dass die Verhandlungen scheitern würden?

Sebastian Ramspeck: Es war von Anfang an klar, dass es extrem schwierig werden würde, von der EU irgendwelche Zugeständnisse zu bekommen. Wir dürfen nicht vergessen: Die EU machte die Personenfreizügigkeit bereits in der 1990-er Jahren zu einem zwingenden Bestandteil der Bilateralen, und bereits vor einem Vierteljahrhundert war das ein heiss umstrittener Punkt! Und es gibt eben in der EU viele Länder, welche die Personenfreizügigkeit vor allem als Vorteil für ihre Bürger sehen, denken Sie zum Beispiel an Polen oder an Spanien. Und dann gibt es Länder, denen die Personenfreizügigkeit auch aus prinzipiellen Erwägungen heilig ist, zum Beispiel Deutschland.

Es gab keine Drohkulisse in der Schweiz.

Dazu kommt, dass die EU mit Blick auf den Brexit keinesfalls den Eindruck erwecken wollte, sie sei gegenüber der Schweiz zu Zugeständnissen bereit. Und last but not least: Die Schweiz machte es der EU einfach, auf Zeit zu spielen: Denn die meisten Parteien und Verbände betonten ja stets, dass man an den Bilateralen unbedingt festhalten wolle. Es gab keine Drohkulisse in der Schweiz. Es kamen also sehr viele und unterschiedliche Faktoren zusammen.

Zus sehen Bundesrätin Simonetta Sommaruga und Kommissionspräsident Juncker.
Legende: Ein «trügerischer» Kuss. In der Sache blieb die EU hart. Bundesrätin Sommaruga mit EU-Kommissionspräsident Juncker. Reuters

Trotzdem machten Politiker immer wieder Hoffnungen. Allen voran Bundesrat Didier Burkhalter; er sprach noch im letzten Jahr davon, dass man kurz vor dem Durchbruch sei. War das einfach naiv?

Es gab einen Optimismus, der bisweilen surreale Züge annahm. In der Sache bewegte sich in den drei Jahren letztlich wenig. Es gab zwar Phasen, in denen es minime Verhandlungsfortschritte gab und auch etwas auf dem Tisch lag – zuerst im Herbst 2015, dann wieder im Sommer 2016, vor und nach der Brexit-Kampagne. Die EU war jedoch zu keinem Zeitpunkt bereit, der Schweiz im Freizügigkeitsabkommen Ausländer-Höchstzahlen oder einen echten Schweizer-Vorrang zuzugestehen.

Hätte die Schweiz mehr bei den einzelnen Mitgliedsländern lobbyieren und so Verbündete suchen sollen?

Es gab und gibt in der Schweiz eine Falschwahrnehmung: Hier die Kommission in Brüssel, die einen harten Kurs gegen die Schweiz fährt, dort die Mitgliedsstaaten, die zu Zugeständnissen bereit wären. Tatsächlich gab es zum Beispiel aus Deutschland immer wieder öffentliche Äusserungen, auch von Kanzlerin Merkel, dass man helfen werde, eine Lösung mit der Schweiz zu finden. Das wurde in der Schweiz dann gerne so interpretiert, dass man in Deutschland einen Verbündetet hat. Doch das Gegenteil war der Fall: Gerade auch Deutschland hat hinter den Kulissen in Brüssel Druck gemacht, der Schweiz keine Zugeständnisse zu machen.

Ich gehe davon aus, dass die Beziehung im Ist-Zustand verharren werden.

Wie geht es jetzt weiter – ist nach der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative die Zeit reif für einen Neuanfang der Beziehungen zur EU?

Nein, ich gehe am ehesten davon aus, dass die Beziehung in den nächsten Jahren im Ist-Zustand verharren wird: keine Zugeständnisse von Seiten der EU, aber auch keine Zugeständnisse von Seiten der Schweiz. Konkret: Es bleibt beim einseitigen «Inländervorrang light». Es wird kein Rahmenabkommen geben, und deshalb auch keine neuen Abkommen wie zum Beispiel ein Finanzmarkt- oder ein Stromabkommen. Aber es gibt natürlich viele Unwägbarkeiten, zum Beispiel die verschiedenen Volksabstimmungen, die in der Schweiz sicher oder vielleicht kommen werden – zu Rasa, welche die Masseneinwanderungs-Initiative rückgängig machen will, zu einer möglichen Kündigungsinitiative und so weiter.

Die EU hat gravierende eigene Probleme: Die Brexit-Verhandlungen, die Flüchtlingspolitik, der erstarkende Populismus – wird man in Brüssel künftig noch Zeit haben, sich mit der Schweiz abzugeben?

Die Beziehungen zur Schweiz sind für die EU vor allem dort ein wichtiges Thema, wo es um EU-interne Fragen geht beziehungsweise um das Verhältnis zwischen der EU und Grossbritannien nach dem Brexit. Um beim Beispiel Personenfreizügigkeit zu bleiben: Sollte es in Zukunft nochmals Verhandlungen mit der Schweiz geben, wären diese für die EU zum Beispiel mit der Frage verknüpft, wie es innerhalb mit der Personenfreizügigkeit weitergeht. In den kommenden Jahren werden Verhandlungen jedenfalls sehr mühsam werden, längerfristig können sich natürlich auch Chancen ergeben.

Die EU steckt in ihrer schwersten Krise. Alles ist möglich: von einer Implosion bis hin zu einer Wiedergeburt.

Was für Chancen?

Die EU steckt in der schwersten Krise ihrer Geschichte und alles ist möglich: von einer Implosion bis hin zu einer Wiedergeburt. Auch die alte Idee eines «Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten» wird an neuer Aktualität gewinnen. Die Personenfreizügigkeit ist dabei einer der umstrittenen Punkte, neben vielen anderen wie zum Beispiel dem Euro oder der Machtbalance zwischen Brüssel und den Hauptstädten. Und wer weiss: Vielleicht wäre eine andere politische und juristische Architektur der EU plötzlich auch interessant für die Schweiz.

Aber die EU ist ein sehr, sehr träges Gebilde, für grundlegende Veränderungen braucht es die Zustimmung aller 28 Mitgliedsstaaten. Das alles braucht also wahrscheinlich sehr viel Zeit.

Das Interview führte Adrian Ackermann.

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