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Thomas Lyssy: «Es muss gelingen, dass aus der Perspektive des Opfers, Gerechtigkeit geschieht»
Aus Regionaljournal Basel Baselland vom 22.07.2022.
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Mediation statt Richterspruch Pionierprojekt: Statt vor Gericht geht es vor den Mediator

In einem einzigartigen Projekt kann im Kanton Baselland ein Mediator bei Streitfällen vermitteln – mit hoher Erfolgschance.

Streit in der Waschküche, eine Ohrfeige in einer Bar, Ärger wegen Lärm zu später Stunde: Solche Konflikte drohen schnell zu eskalieren – nicht selten zerren sich die Streithähne vor den Richter. Eine zermürbende und kostspielige Eskapade für alle Beteiligten. Das muss aber nicht sein: Der Mediator Thomas Lyssy hilft, solche juristischen Hickhacks aussergerichtlich zu lösen. Er ist Leiter eines Pionierprojekts bei der Staatsanwaltschaft im Kanton Baselland.

Gerechtigkeit kann für verschiedene Personen etwas ganz anderes bedeuten.
Autor: Thomas Lyssy Mediator

Thomas Lyssy baut Brücken – Brücken zwischen Streithähnen. Das Entscheidende sei dabei: «Es muss gelingen, dass, aus der Perspektive des Opfers, Gerechtigkeit geschieht», sagt Lyssy, Leiter der Fachstelle für Vergleichsverhandlungen im Baselbiet und ergänzt: «Gerechtigkeit kann für verschiedene Personen etwas ganz anderes bedeuten.» Das gehe von einer ernst gemeinten Entschuldigung bis hin zu Vereinbarungen, wie sich Personen künftig aus dem Weg gehen wollen.

Thomas Lyssy sitzt an einem Tisch
Legende: Er bringt die Leute dazu, einander zuzuhören – und im besten Fall Verständnis für das Gegenüber zu entwickeln. SRF/Anna Jungen

Einigen sich die Streitparteien auf eine Mediation, versucht Lyssy als Erstes einen sogenannten Perspektivenwechsel zu vermitteln: «Ich will, dass die beschuldigte Person versteht, warum sie angezeigt wurde.» Und umgekehrt müsse auch die Person, die die Anzeige eingereicht hat, ein gewisses Verständnis für das Handeln der anderen Partei aufbringen.

Hohe Erfolgsquote

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Legende: Im Strafjustizzentrum in Muttenz BL gibt es neben der Härte des Gesetzes auch die Möglichkeit der Mediation. Keystone

In rund 70 Prozent der Fälle gelingt es Lyssy und seinen Mitarbeitenden, mit den zerstrittenen Parteien eine aussergerichtliche Lösung zu finden. Ein Streit beizulegen, ist für alle Beteiligten günstiger; auch für den Kanton.

Seit rund 10 Jahren bietet Thomas Lyssy Vergleichsverhandlungen im Baselbieter Straf- und Justizvollzug an. Pro Jahr leitet er in dieser Funktion rund 100 Mediationen.

Einzigartiges Projekt

Die Fachstelle für Vergleichsverhandlungen ist bei der Baselbieter Staatsanwaltschaft angesiedelt. In dieser Form ist das Angebot Schweizweit einzigartig. Die Fachstelle wurde 2013 gegründet und beschäftigt sechs Mitarbeitende.

Lyssy erklärt das Prinzip des Perspektivenwechsels an einem Beispiel. Dabei geht es um den Klassiker: Streit in der Waschküche, kombiniert mit interkulturellen Kommunikationsproblemen. Eine Schweizerin und eine Türkin seien sich wegen des Wäscheplans in die Haare geraten. Nach einem hitzigen Wortgefecht hatte die Schweizerin eine Anzeige eingereicht. «Im Gespräch haben wir dann herausgefunden, dass sich die Schweizerin bedroht gefühlt hatte. Und das, obwohl sie die Türkin gar nicht verstanden hatte, weil sie in ihrer Muttersprache gestritten habe», erzählt Lyssy.

Symbolbild: Zwei Menschen und eine zerrissene Sprechblase
Legende: Gibt es Probleme in der Kommunikation, kann ein Streit schnell eskalieren. GettyImages / Malte Mueller

Im Gespräch, auch mit einer Dolmetscherin, hätten sich die beiden Frauen gegenseitig erklären können. «Es hat sich gezeigt, dass die türkische Frau eigentlich keine Probleme mit der anderen Frau hat. Wegen mangelndem gegenseitigem Verständnis ist der Streit trotzdem eskaliert.» In der Mediation konnten beide Verständnis füreinander aufbringen und den Streit beilegen.

Bagatellen oder traumatisierende Streitigkeiten?

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Mediator Thomas Lyssy will bei Kleinkriegen vermitteln, bevor sie vor einem Zivilgericht landen. «Nachbarschaftskonflikte beschäftigen mich sehr oft. Das kann ein Baum oder Gebüsch sein, das in den Nachbargarten wächst. Jemand verliert die Nerven und schneidet das Gewächs runter.» Aus juristischer Sicht sind es oft Bagatellfälle.

Fälle von häuslicher Gewalt müssen vor Richterin

Der 64-jährige Lyssy sagt aber: «Für die Beteiligten sind die Verfahren keine Bagatellen, sondern häufig schlimme und traumatisierende Erlebnisse.» In solchen Fällen kann die Baselbieter Staatsanwaltschaft die Anzeige an den Mediator weiterleiten, bevor tatsächlich der Gang vor eine Richterin droht.

Ausgenommen sind Fälle von häuslicher Gewalt – diese werden von einem Gericht behandelt.

In der Mediation gebe es durchaus auch kleine «Wundermittel», schildert Lyssy. Ein Trick sei zum Beispiel diese Frage: «Wenn Sie morgen aufwachen – und es ist alles gut. Wie ist es dann?» Lyssy sagt, wenn sich beide Parteien auf ein solches Gespräch einlassen, könne das Wunder wirken.

Ja, es gibt auch die unlösbaren Konflikte

Natürlich gebe es aber auch Fälle, bei denen auch die «Wundermittel der Mediation» nicht wirken würden. «Wenn der Streit bereits viele Jahre alt ist, dann wird es schwierig.»

Zwei Menschen sitzen einander abgewandt
Legende: Gewisse Menschen würden ihre Konflikte hegen und pflegen, sagt Lyssy. GettyImages / courtneyk

Der Zoff könne zum Lebensinhalt werden, schildert Lyssy. Und der Nachbarschaftsstreit mutiere quasi zur Vollzeitbeschäftigung. Oft gebe es aber eine Lösung – und diese dürfe auch unkonventionell sein: «Man muss die Leute manchmal auch etwas zu ihrem Glück – oder zum Frieden führen», meint Lyssy lachend.

Wenn Sie morgen aufwachen – und es ist alles gut. Wie ist es dann?
Autor: Thomas Lyssy Mediator

Dabei ist er überzeugt, dass eine Mediation nachhaltigere Lösungen bringe als ein Richterspruch. Wichtig sei dabei, dass als Lösung des Konflikts ganz individuelle Vereinbarungen möglich sind. «Wenn Person A auf Person B triff, wechselt sie die Strassenseite und nimmt ihren Hund an die Leine», nennt Lyssy als Beispiel.

Regionaljournal Basel, 30.07.2022, 17:30 Uhr;

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