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Mediennutzung von Kleinkindern Schweizer Kleinkinder schauen 20 Minuten am Tag in Bildschirme

Die Bildschirmzeit von 20 Minuten bei unter 2-Jährigen ist laut WHO zu lang. Warum Fachleute dennoch nicht besorgt sind.

Es sind Ferien, eine Familie mit Kindern geht auswärts essen. Plötzlich fängt im Restaurant das Kleinste an zu schreien. Von Blicken anderer Gäste durchlöchert legen die Eltern dem Baby den Schnuller in den Mund, drücken dem Kind das Handy vor die Nase.

Doch ist das eine gute Idee? Sind die Kleinsten nicht schon genug oft mit Bildschirmen konfrontiert? Und ist es gar schädlich?

Erstmals Zahlen für die Schweiz

Wie lange kleine Kinder in der Schweiz tatsächlich vor dem Bildschirm sitzen, hat eine Studie nun erstmals untersucht. An der Befragung haben über 4100 in der Schweiz lebende Eltern von kleinen Kindern teilgenommen. Die Ergebnisse zeigen: Die Bildschirmzeit steigt mit dem Alter: 2-bis 4-Jährige sind im Schnitt 38 Minuten am Tag am Handy, Tablet oder Fernseher, 5- bis 6-Jährige bereits 45 Minuten. Auch unter 2-Jährige sind Screens ausgesetzt – im Durchschnitt 20 Minuten pro Tag.

Dass Kinder unter 2 Jahren an Bildschirmen sitzen, entspricht eigentlich nicht einer Empfehlung der Welt­gesundheits­organisation (WHO). Sie empfiehlt den Kleinsten noch überhaupt keine Bildschirmzeit, zumindest nicht sitzend. Ausgenommen sind auch Videocalls.

Denn es gibt Bedenken, dass wichtige Entwicklungsaktivitäten des Kindes wie körperliches Spielen, die Interaktion mit Bezugspersonen oder der Schlaf von digitalen Medien verdrängt werden könnten.

Deutlich höhere Bildschirmzeit in den USA

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Säugling mit Schnuller hält ein Smartphone.
Legende: KEYSTONE / Gaetan Bally

Für die Einordnung der ersten Schweizer Daten ist auch ein Blick ins Ausland von Interesse: Unter 2-Jährige in den USA verbringen im Schnitt bereits 49 Minuten und ihre 2- bis 4-jährigen Altersgenossen 2 Stunden und 8 Minuten pro Tag vor Bildschirmen .

Aus europäischen Ländern werden wesentlich geringere Zeiträume gemeldet. In Deutschland beispielsweise verbringen Kinder unter 2 Jahren durchschnittlich etwas über 10 Minuten und 2- bis 4-Jährige 27 Minuten vor Screens.

Während in der Schweiz die Bildschirmzeit der 2- bis 5-Jährigen überwiegend mit der WHO-Empfehlung von einer Stunde pro Tag vereinbar ist, ist das bei 60 Prozent der unter 2-Jährigen nicht so. Dennoch kommt die Studienautorenschaft zum Schluss: Die Bildschirmnutzung der meisten Kinder sei für ihr Alter moderat und angemessen.

Nicht schwarz oder weiss

Es sei komplex, sagt Laurent Sedano, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Er beschäftigt sich seit 15 Jahren mit Kindern und digitalen Medien und hat auch einen Podcast dazu lanciert.

Ob die Bildschirmnutzung negativ ist, kommt auf viele Faktoren an: Wird das Kind beim Schauen eines Videoclips begleitet? Ist der Inhalt altersgerecht und entspricht der Lebenswelt des Kindes? Ist das Video nicht zu schnell geschnitten und der Konsum von Bewegung begleitet? «Wenn das alles gegeben ist, macht es nichts, wenn ein Kleinkind für 20 Minuten in einen Bildschirm schaut», sagt Sedano.

Hören vor Sehen

Andere Studien weisen darauf hin, dass Höraktivitäten die kindliche Entwicklung in vielerlei Hinsicht fördern. Das Hören von Medieninhalten habe einen völlig anderen Einfluss, als wenn ein Kind etwas schaue, sagt Sedano.

Dazu hat die Schweizer Studie Zahlen erhoben: Während 45 Prozent aller befragten Eltern angaben, ihr Kind audiovisuelle Inhalte konsumieren zu lassen, berichteten 55 Prozent von ihnen, dass ihr Kind Musik, Radio oder Hörgeschichten hört.

Details zur Studie

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An der Online-Querschnittsumfrage machten zwischen Februar 2023 und Mai 2024 4173 Eltern mit Kindern zwischen 0 und 5 Jahren aus der ganzen Schweiz mit. Die Umfrage umfasste unter anderem demografische Daten und hinsichtlich der digitalen Mediennutzung die Zugänglichkeit von Geräten, Nutzungsdauer, Inhalt und Kontext.

Die Eltern wurden Offline (via Flyer) oder Online (via Social Media) rekrutiert. Um eine vielfältige Stichprobe zu erhalten, haben die Forschenden mit Familienunterstützungsorganisationen und Panels zusammengearbeitet. Es wurde auch ein zweiter, einfacherer und weniger zeitaufwendiger Fragebogen angeboten. Aus Sicht von Experte Sedano basiert die Studie auf einem vielfältigen und soliden Datensatz.

Die Studie wurde von Schweizer Forscherinnen und Forschern der Hochschule für Soziale Arbeit und Gesundheit in Lausanne, der Universität Basel und der interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik in Zürich durchgeführt. Die ganze Studie können Sie hier nachlesen.

Experte Sedano kommt in Anbetracht dessen zum Schluss: Es sei doch nicht so schlecht um die Medienerziehung unserer Kinder bestellt, wie oft behauptet.

Die Studie zeigt, dass die Eltern intuitiv vieles richtig machen.
Autor: Laurent Sedano Experte für Mediennutzung an der ZHAW

Im Kontext der Diskussionen um ein Handyverbot an Schulen oder Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige erschleiche einen das Gefühl, dass man die Kontrolle über die Geräte verloren hätte und dass die Eltern ihre erzieherische Rolle nicht mehr wahrnähmen. «Die Studie zeigt – mit Zahlen belegt, über mehrere Sprachregionen der Schweiz hinweg und im Vergleich zu anderen Ländern –, dass die Eltern intuitiv vieles richtig machen.»

Einschränkungen der Studie

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Die Autorinnen und Autoren der Studie räumen gleich selbst mehrere Aspekte ein, die die Ergebnisse der Studie einschränken: Unter anderem basiert die Umfrage auf Selbstauskünften der Eltern und nicht beispielsweise auf Zeittagebücher. Daher könnten Eltern die Nutzung digitaler Medien ihres Kindes zu niedrig angegeben haben. Auch waren 81 Prozent der Befragten weiblich. Es könnte also sein, dass Mütter bei der Befragung überrepräsentiert sind.

Tagesschau, 24.07.2025, 19:30 Uhr

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