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Medizinische Versorgung Fördert der Föderalismus unrentable Infrastrukturprojekte?

Das Wichtigste in Kürze

  • Im Kanton Appenzell Innerrhoden stimmen die Bürger Ende April über ein neues Spital ab.
  • Das heutige Spital ist veraltet und soll durch einen Neubau ersetzt werden.
  • Die Bevölkerung ist – wie eine kleine Umfrage zeigt – unterschiedlicher Meinung.

Die kommende Abstimmung im Kanton Appenzell Innerrhoden zeigt ein Dilemma auf, in dem viele Kantone aufgrund der föderalistischen Gesundheitspolitik stecken. Braucht jeder Kanton ein eigenes Kantonsspital?

Das geplante neue Spital Appenzell soll sogar mehr Betten anbieten als das heutige Spital, das völlig veraltet ist und so nicht mehr lange weitergeführt werden kann. 41 Millionen Franken Steuergeld will die Appenzeller Regierung in das neue Spital investieren.

Das Spital generiert Arbeitsplätze und Einkommen

Antonia Fässler kämpft als Gesundheitsdirektorin von Appenzell Innerrhoden für den Bau dieses neuen Spitals. Es sei zwar richtig, dass sich dies rein betriebswirtschaftlich nicht lohne, gibt sie zu. Das Spital ist defizitär. Doch man müsse auch beachten: «Das Spital Appenzell ist ein ansehnlicher Betrieb mit 68 Angestellten und einem Umsatz von 15 Millionen Franken. Das hat auch volkswirtschaftliche Implikationen.» Diese Überlegung habe die Regierung des Kantons mitgewichtet, als sie entschied, einen Neubau zu erstellen.

Fast jeder fünfte Franken der Spitalerträge ist allerdings ein Subventionsfranken. Damit ist Appenzell schweizweit an der Spitze, sogar noch vor Genf, wie eine heute veröffentlichte Studie von Avenir Suisse zeigt.

Für Gesundheitsdirektorin Fässler geht es beim Spitalprojekt aber nicht nur um Geld, sondern auch um Selbstbestimmung: «Wenn der Kanton Appenzell Innerrhoden der erste Kanton wäre ohne Spital, wäre das ein Novum für die Kantonsregierung. Das staatspolitische Argument hat Gewicht.»

Es wiegt deshalb schwer, weil man als Kanton ohne Spital die Handlungsfähigkeit im Bereich der Gesundheitsversorgung verlieren würde, fürchtet die Regierungsrätin. Die Gesundheit sei neben der Bildung einer von wenigen Bereichen, über den Kantone heute noch alleine bestimmen könnten.

«Wir sind mit Abstand der kleinste Kanton»

Gerade deshalb würde Martin Breitenmoser, Appenzeller Grossrat, die Millionen lieber in die Bildung statt in ein Spital investieren. «Wir müssen ehrlich sein. Wir sind mit Abstand der kleinste Kanton der Schweiz.» Man müsse sich überlegen, was die Prioritäten sind, dass der Kanton gut funktioniert. «Es gibt wichtigere Dinge, die wir machen müssen, dass wir unsere Identität behalten können. Für mich ist das definitiv nicht ein Spital mit einer stationären Abteilung.»

Wären wir kein Kanton, müssten wir über ein Spital nicht diskutieren.
Autor: Heinz Locher Gesundheitsökonom

Denn die 14’000 Einwohner rund um Appenzell seien einfach zu wenig, um ein Spital rentabel zu betreiben, sagt Breitenmoser. Er zitiert den Gesundheitsökonomen Heinz Locher: «Wären wir kein Kanton, müssten wir über ein Spital nicht diskutieren.» Es käme keiner Gemeinde in der Schweiz mit dem gleichen Einzugsgebiet und mit der gleichen Konkurrenzsituation in den Sinn, ein Spital neu zu bauen.

Spezialisten so oder so bevorzugt

In der Tat ist die Konkurrenz in der Ostschweiz gross. St. Gallen investiert gerade eine Milliarde in den Traum, zu einem Universitätsspital zu werden. Die Folgen davon erläutert eine Passantin in Appenzell: «Die meisten gehen bereits jetzt nach Herisau oder St. Gallen ins Spital. Es ist ja nicht weit. Dort hat es Spezialisten.» Sie selbst würde sich auch lieber anderswo als in Appenzell behandeln lassen, sagt sie.

Die Frau hat recht. Drei Viertel aller Innerrhoder Patienten lassen sich heute schon in den Kantonsspitälern Herisau und St. Gallen versorgen. Die zwei Spitäler sind 25 Autominuten von Appenzell entfernt.

Kritische Stimmen auf der Strasse

In einer Umfrage auf der Strasse äussern sich die Einheimischen gegenüber des Spitalneubaus eher kritisch: «Ich finde, es ist zu klein. Man liest ja überall von den Spitalschliessungen. Wieso nochmal ein neues Spital?» sagt eine jüngere Frau. Und ihre Kollegin ergänzt: «Ich habe das Gefühl, für unser kleines Kantönchen lohnt es sich schlicht nicht.»

Aber es gibt auch die anderen, die Angst davor haben, mit der Aufgabe eines eigenen Spitals einen Teil der Identität zu verlieren.

Wenn man etwas aufgibt, bekommt man es in aller Regel nicht mehr.
Autor: Ein älterer Appenzeller Teilnehmer einer Strassenumfrage

Ein älterer Herr vergleicht die Entwicklung seines Kantons mit dem Nachbarkanton Ausserrhoden: «Wenn wir kein Spital mehr haben, verlieren wir auch einen Teil Innerrhodens. Es wird uns ergehen wie dem Kanton Ausserrhoden. Er hat schon die Landsgemeinde, die Brauerei, die Bank, die Zeitung verloren. Wenn man etwas aufgibt, bekommt man es in aller Regel nicht mehr.»

Es entscheidet der Kantönligeist

Und dass es Appenzell günstiger zu stehen komme, wenn man die Leute für Behandlungen und Operationen in andere Kantone schicke, bezweifelt der Befragte ebenfalls: «Wenn St. Gallen in vier Jahren ein Universitätsspital wird, und wir dorthin gehen müssen, ist das auch teuer für uns.»

Tatsächlich sind kleinere Spitäler nicht bei allen Leistungen teurer als die grossen, wie Kostenanalysen von Unikliniken zeigen. Die Kosten sind aber eben nur das eine. An der Landsgemeinde in Appenzell im April dürfte eher die Ausprägung des Kantönligeistes darüber entscheiden, ob es auf dem Kantonsgebiet in Zukunft noch kantonale Spitalbetten gibt.

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