Die Sterbehilfeorganisation Exit besteht seit 34 Jahren und gewinnt jährlich Tausende neue Mitglieder. Ende 2018 zählt der Verein für humanes Sterben gut 120'000 Mitglieder.
Im vergangenen Jahr hat Exit 905 Freitodbegleitungen durchgeführt – das sind 172 mehr als noch 2017. Mediensprecher Jürg Wiler erklärt die steigenden Zahlen.
SRF News: D ie Mitgliederzahl bei Exit steigt, die Anzahl Freitodbegleitungen auch. Wie erklären Sie diese Entwicklung?
Jürg Wiler: Wir sehen verschiedene Gründe. Einerseits steigt die Lebenserwartung der Bevölkerung und durch das höhere Alter steigt auch die Wahrscheinlichkeit von schweren Krankheiten. Zudem ist es eine Erscheinung unserer Zeit, dass die Menschen auf ihr Selbstbestimmungsrecht pochen.
Ich denke, die Menschen befassen sich heute intensiver mit dem Tod und Sterben. Mit dem Internet gibt es dafür mehr Möglichkeiten. Die Menschen werden kompetenter und setzen sich grundlegend mit dem Tod auseinander.
Was braucht es, damit Exit einer Sterbebegleitung zustimmt?
Ein wichtiger Aspekt ist, dass die Urteilsfähigkeit beim betroffenen Menschen vorhanden ist. Er muss genau wissen, welche Folgen sein Entscheid hat. Dieser muss also wohlüberlegt sein und zum Schluss führen, das Leben beenden zu wollen. Zum Beispiel dann, wenn eine Person an einer tödlichen Krankheit oder unerträglichen Beschwerden leidet. Hierbei schauen wir genau hin. Wenn eine vorübergehende Depression vorläge, wäre eine Begleitung nicht möglich.
Muss man also todkrank sein, um von Exit begleitet zu werden?
Die meisten Menschen, die wir begleiten, sind tatsächlich todkrank. Es gibt aber auch den Altersfreitod. Hier muss nicht zwingend eine tödliche Krankheit vorliegen, sondern mehrere Gebrechen. Wenn jemand beispielsweise nicht mehr gut sieht, aber ein Leben lang gern gelesen hat, zudem Schwindelanfälle hat und kein normales Gespräch mehr führen kann. Solche sozialen Aspekte beziehen wir mit ein. Wichtig ist, dass auch bei diesen Menschen die Urteilsfähigkeit vorhanden ist.
Es scheint paradox. Die Medizin macht ständig Fortschritte, um uns ein längeres Leben zu ermöglichen. Gleichzeitig möchten sich mehr Leute die Option offenlassen, den Freitod zu wählen. Wie erklären Sie das?
Das ist für mich eine Zeiterscheinung. Die Menschen konnten und mussten ein Leben lang für sich selber entscheiden: Welchen Berufsweg sie beschreiten, ob sie eine Familie oder ein Haus wollen – und am Schluss will man ihnen dieses Recht absprechen. Das goutieren viele nicht. Man lässt sich nicht von einem Spital oder von einem Pfarrer vorschreiben, wie und wann man gehen soll.
Das Gespräch führte Daniela Lager.