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Mehr Obdachlose als Süchtige So haben sich die Probleme auf der Berner Gasse verändert

Seit 20 Jahren unterstützt Pinto in Bern Menschen am Rand der Gesellschaft – und steht vor immer neuen Herausforderungen.

Vor 20 Jahren begann in Bern ein neues Kapitel in der aufsuchenden Gassen- und Konfliktarbeit: Mit Pinto nahm ein Team seine Arbeit auf – mitten im Milieu, direkt bei den Menschen und Süchtigen.

Damals wie heute sind die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in der Stadt unterwegs, die man mit ihren roten Pinto-Westen schon von Weitem erkennt.

Von der Drogenszene zur Obdachlosen-Problematik

Die Anfangsjahre von Pinto waren geprägt von einer offenen Drogenszene beim Berner Bahnhof und von Menschen mit schwerer Alkoholabhängigkeit. «Damals standen Suchterkrankungen im Vordergrund. Diese Menschen waren stark verelendet», erinnert sich Silvio Flückiger, der seit Beginn bei Pinto ist und das Team heute leitet.

Heute ist die klassische Drogenszene kleiner geworden, die Heroin- und Alkoholabhängigen älter. Dafür hat die Zahl der psychisch Schwerkranken und Obdachlosen auf der Strasse stark zugenommen. Zählte Pinto vor rund zehn Jahren in Bern 14 bekannte Personen ohne Obdach, sind es heute 58.

Schützenmatte
Legende: Bei der Schützenmatte kam es zu Übergriffen auf Pinto-Mitarbeitende, worauf diese den Patrouillendienst stoppten. Keystone/Peter Klaunzer

Etliche Personen kämen aus dem angrenzenden Ausland, seien auf der Suche nach einem besseren Leben, einem Job. «Im Obdachlosentreff hat es aber auch viele Schweizer, die ein Leben lang gearbeitet haben, Ende Monat aber trotzdem nicht mehr genug Geld zum Essen haben», so Flückiger.

Mit wachsender Obdachlosigkeit ist die soziale Arbeit von Pinto komplexer und langwieriger geworden. «Viele Leute stehen heute am Rand, weil sie aus dem System fallen. Sie haben kein Anrecht auf Sozialhilfe oder Krankenkasse.»

Besorgniserregend sei die wachsende Versorgungslücke bei psychisch Kranken: «Viele Menschen schaffen es nicht in die psychiatrische Behandlung, leben ohne Obdach und brechen den Kontakt ab», sagt Flückiger. Denn diese litten häufig unter Verfolgungsgefühlen.

Mehr Gewalt, tiefere Hemmschwelle

Eine andere Entwicklung spüren die Mitarbeitenden am eigenen Leib: Die Hemmschwelle für Gewalt ist gesunken. In den letzten Jahren sei das Pinto-Team vermehrt Übergriffen ausgesetzt gewesen. «Vor zwei Jahren wurden innerhalb eines Jahres acht Mitarbeitende verletzt. Messer und Pfefferspray tauchen schneller auf als früher», so Flückiger.

Silvio Flückiger
Legende: Weniger Drogen, mehr Obdachlose: Silvio Flückiger hat in 20 Jahren bei Pinto viel erlebt. SRF/Adrian Müller

Es komme immer wieder vor, dass Leute von Pinto angefeindet und auch angegriffen würden. Die Gründe seien vielseitig. Man treffe etwa auf traumatisierte Leute mit einer Fluchterfahrung: «Die lernten auf der Flucht: ‹Wenn es heiss wird, muss ich mich wehren. Sonst überlebe ich nicht.›» Diese Erfahrungen könnten sie in Bern nicht einfach ablegen. Da brauche es viele Gespräche mit den Betroffenen.

Heiliggeistkirche, Kleine Schanze – die bekannten Brennpunkte

Die Orte, an denen Pinto arbeitet, sind oft dieselben geblieben: Rund um die Heiliggeistkirche, die Kleine Schanze, die Schützenmatte gibt es nach wie vor soziale Brennpunkte. Doch Flückiger betont: «Die Situation hat sich gegenüber den Anfängen deutlich verbessert. Viele Orte sind heute durchmischt, auf der Kleinen Schanze spielen Familien.» Der Strassenstrich nebenan sei verschwunden.

Dennoch fühlen sich manche Menschen unsicher, wenn sie abends in Bern unterwegs sind – etwa beim Bahnhof rund um die Heiliggeistkirche, wo sich Randständige aufhalten. Die Angst sei meist unbegründet: «Wenn es laut wird, dann zwischen den Personen am Rand der Gesellschaft. Für Passantinnen und Passanten ist das in aller Regel nicht gefährlich», sagt Flückiger.

Regionaljournal Bern Freiburg Wallis, 28.4.2025, 17:30 Uhr ; 

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