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Schweiz «Mein Kind will in den Dschihad» – und nun?

Was tun Eltern in der Schweiz, wenn Sie befürchten, ihr Kind entwickle radikale, islamistische Tendenzen? Eine nationale Helpline ist vom Tisch. Denn: Vorhandene Strukturen reichten, so die Task Force Tetra des Bundes. Doch in der Vernetzung weisen diese gravierende Mängel auf, sagen Fachleute.

«Mein Kind will in den Dschihad.» Wer als besorgtes Elternteil den Satz googelt, erhält nicht sofort Rat. Neuer Versuch: «Mein Kind wird radikal.» Nach einigen Links zu Zeitungsartikeln kommt endlich derjenige auf eine Beratungsstelle – aber in Hamburg.

Doch was tun Eltern in der Schweiz, wenn Sie das Gefühl haben, ihr Kind entwickle radikale, islamistische Tendenzen? Eine im Vorfeld diskutierte Hotline ist laut der Task-Force Tetra (Terrorist Travellers – also dschihadistisch motivierter Reisender) vom Tisch.

Spezifische Beratungsangebote sind rar. Eines der wenigen ist die Beratungsstelle Radikalisierung des Amtes für Erwachsenen- und Kinderschutzes der Stadt Bern.

«Unsere Beratungen funktionieren sehr niederschwellig.»
Autor: Ester Meier Beratung Stadt Bern

«Meistens rufen die Eltern an, manchmal auch Freunde», erklärt die Leiterin des Amtes, Ester Meier. Nach einem Gespräch mit der anrufenden Person versuche man, mit dem Jugendlichen direkt Kontakt aufzunehmen.

«Meistens ist es ein Pubertätsproblem»

Das Berner Beratungstelefon ist Anlaufstelle für alle Arten von Radikalisierung: Rechts- und Linksextremismus, auch Sekten. Von den insgesamt rund 600 Jugendberatungen der Stadt Bern beträfen jährlich ein bis zwei Fälle irgendeine Form von Radikalisierung.

Im vergangenen Jahr seien zusätzlich sieben dschihadistische Fälle dazugekommen. «Sobald ein Thema in den Medien ist, melden sich Leute eher», erklärt Meier.

Man versuche im Gespräch herauszufinden, was wirklich das Problem sei. «In den allermeisten Fällen ist es kein wirkliches Radikalisierungsproblem, sondern ein Pubertätsproblem, ein Versuch der Abgrenzung gegenüber Eltern», so Meier. «Da unterscheiden sich diese Fälle oft nicht von den anderen.»

Parallelen zu anderen Fällen zieht auch Miryam Eser Davolio. Sie ist Dozentin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und hat sich mit den Hintergründen dschihadistischer Radikalisierung in der Schweiz beschäftigt – ihre Studie wurde auch von der Task Force des Bundes hinzugezogen.

Richtiger Umgang mit Religion fehlt

Das bereits vorhandene Wissen über beispielsweise Rechtsextremismus sei hilfreich, erklärt Eser Davolio. «Die Mechanismen der Radikalisierung sind ähnlich.»

Radikalisierung ist ein Kontinuum.
Autor: Miryam Eser Davolio Dozentin ZHAW

Es beginne mit einem gewissen Interesse und entwickle sich entweder in eine dem Thema gegenüber kritische Richtung oder in eine Richtung mit «verengter Sichtweise». Persönliche Krisen oder ein Bedürfnis nach Zugehörigkeit seien oft Faktoren für letzteres.

Ein Fünftel der Schweizer Dschihad-Reisenden sind Konvertiten.
Autor: Miryam Eser Davolio Dozentin ZHAW

Die meisten dschihadistisch radikalisierten Jugendlichen kämen nicht aus einem religiösen Elternhaus, hält die Wissenschaftlerin fest. «Ihnen fehlt ein richtiger Umgang mit Religion.» Ihre Informationen holen sie oft einseitig im Internet.

Den muslimischen Gemeinschaften käme hier eine wichtige Präventionsfunktion zu: «Indem eine umfassende Koran-Auslegung stattfindet, eine Diskussion und eine Auseinandersetzung.»

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Moscheen haben Finanzierungsprobleme

Leider verschlössen viele Moscheen den Betroffenen oft bei einer sich abzeichnenden Radikalisierung die Türen, bedauert Eser Davolio. «Sie haben Angst vor dem schlechten Image.» Und sie haben wenig Geld. Es brauche mehr Vernetzung mit anderen Beratungsinstitutionen – und Finanzierung für Weiterbildung von Imamen im Bereich Radikalisierung, wie das im Kanton St. Gallen der Fall sei.

Davolio plädiert für ein koordiniertes, interkantonales Netzwerk. «Dabei braucht es aber nicht eine eigene Beratungsstelle für jeden Kanton – das lohnt sich bei der geringen Fallzahl ­nicht», so die ZHAW-Dozentin. Eine Helpline hingegen wäre ihrer Meinung nach sehr wichtig.

Strukturen sind da, aber Vernetzung fehlt

Anders sieht das Ester Meier von der Stadt Bern. Sie sei früher Befürworterin einer nationalen Helpline gewesen. Mittlerweile hätten Beispiele aus dem Ausland jedoch gezeigt, dass diese mässig erfolgreich gewesen seien. «Es ist besser, dass man sich an eine Beratungsstelle in der Nähe melden kann.»

Einig gehen sich die Fachleute im Punkt der mangelnden Vernetzung: «Wir haben in der Schweiz eigentlich gute Anlaufstellen.» Lokal gäbe es Beratungsangebote und Konzepte. «Wir haben aber definitiv Bedarf an mehr Vernetzung und besserer Bereitstellung von Information.»

Übersicht soll bald stehen

Zum gleichen Schluss kommt das Bundesamt für Polizei Fedpol. «Bisher fehlt eine Übersicht über die Anlaufstellen in den verschiedenen Kantonen», so Cathy Maret, Kommunikationschefin des Fedpol.

Es gibt viele einzelne Strukturen – aber keine Übersicht.
Autor: Cathy Maret Kommunikationschefin Fedpol

Eine nationale Nummer, bei der besorgte Eltern und Freunde im Verdachtsfall anrufen können, wird es also weiterhin nicht geben. Doch immerhin soll bald eine Liste mit den verschiedenen Angeboten existieren: Der Delegierte des Sicherheitsverbundes Schweiz, André Duvillard, hat von Bund und Kantonen die Aufgabe erhalten, bis Mitte 2016 eine umfassende Übersicht zu erstellen.

SRF 4 News, 11:00 Uhr/srf/meym; schubeca

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