Worum geht es?
Es kommen wieder vermehrt unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) in die Schweiz. Dies zeigen Daten des Staatssekretariats für Migration. Die Zahlen bewegen sich in ähnlichen Sphären wie 2016. Damals kam es vor allem wegen des Bürgerkriegs in Syrien zu einer grossen Fluchtbewegung in Richtung Europa.
Auch im Verhältnis zur Gesamtzahl Asylsuchender ist die Zahl der unbegleiteten Kinder gestiegen. Während 2020 noch 4.85 Prozent der Gesuche von unbegleiteten Minderjährigen kamen, waren es im vergangenen Jahr 10 Prozent.
Welche Kinder kommen in die Schweiz?
Zunächst zeigen die Zahlen des SEM, dass es insbesondere männliche Minderjährige sind. Lag der Anteil von Mädchen von 2014 bis 2019 zwischen 16 und 18.7 Prozent, waren es im vergangenen Jahr noch 3.5 Prozent.
Dies könnte damit zusammenhängen, dass die Fluchtrouten immer risikobehafteter werden. Eliane Engeler, Mediensprecherin der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, sagt: «Gerade die Route über Pakistan, Iran, Türkei, Griechenland und den Balkan ist sehr gefährlich.»
Wie sieht die Situation in anderen Staaten aus?
Viele Länder verzeichnen mehr Asylgesuche von unbegleiteten Kindern. Anja Klug, Leiterin des UNHCR-Büros für die Schweiz und Liechtenstein, sagt: «Die Schweiz ist mit dieser Situation nicht alleine.»
Auch in den Nachbarländern, das zeigen Zahlen des Statistischen Amts der Europäischen Union (Eurostat), sind die Gesuche gestiegen.
Lage in Afghanistan: Hohe Kindersterblichkeit und Organhandel
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In den vergangenen Jahren sind unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) vor allem aus Afghanistan in die Schweiz gekommen. Die Zahlen des Staatssekretariats für Migration (SEM) sind deutlich. So flüchteten 2020 insgesamt 314 afghanische UMA in die Schweiz. Ein Jahr später waren es bereits 670, im vergangenen Jahr sogar 2001. Zum Vergleich: 2022 kamen am zweitmeisten unbegleitete Kinder aus Syrien, es waren insgesamt 82.
Eliane Engeler ist Mediensprecherin der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH). Sie sagt: «Afghanistan gehört zu den Ländern mit den schwierigsten Lebensbedingungen für Kinder. Viele Kinder leiden an Unterernährung, die Kindersterblichkeit ist hoch.» Zudem seien Kinderarbeit und Zwangsrekrutierung «weit verbreitet» und viele Kinder hätten keinen Zugang zu Bildung. Engeler sagt zudem: «Es gibt eine massive Zunahme von Zwangsheirat und Organhandel.»
Auch Anja Klug, Leiterin des UNHCR-Büros für die Schweiz und Liechtenstein, sagt: «Die Verschlechterung der Lage in einigen Ländern – unter anderem Afghanistan – ist sicherlich ein Faktor, weshalb immer mehr UMA in die Schweiz kommen.»
Welche Rechte haben UMA?
Für unbegleitete Asylsuchende gilt gemäss Nina Hadorn, Rechtsdozentin mit Schwerpunkt Migrationsrecht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), ein spezieller Rechtsrahmen. «Er gewährt ihnen besonderen Schutz», sagt sie. So verlange etwa die UNO-Kinderrechtskonvention, dass das Kindeswohl «bei allen Massnahmen, die es betreffen, vorrangig berücksichtigt wird.»
Rückführungen von Kindern: Besondere Abklärungen nötig
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Grundsätzlich gilt auch für unbegleitete Minderjährige: Wird ihr Aslygesuch abgelehnt, müssen sie in ihr Heimat- oder Herkunftsland zurückkehren. Jedoch muss auch hier der besonderen Verwundbarkeit der Minderjährigen Rechnung getragen werden. So sind gemäss Nina Hadorn, Rechtsdozentin mit Schwerpunkt Migrationsrecht, auch hier die Anforderungen der UNO-Kinderrechtskonvention zu berücksichtigen.
Zudem streicht die Migrationsrechtsexpertin hervor: «Das Bundesverwaltungsgericht verlangt spezifische und konkrete Abklärungen des SEM, um sicherzustellen, dass das Kindeswohl bei einer Rückkehr berücksichtigt wird.» Dazu gehöre beispielsweise das Alter und die Reife der minderjährigen Person, konkrete Abklärungen zum Beziehungsnetz und Unterstützungsmöglichkeiten im Heimatstaat. «Auch der Grad der Integration in der Schweiz ist relevant», so Hadorn.
Allgemein gelten gemäss Hadorn bei Rückführungen gegenüber Erwachsenen erhöhte Anforderungen an die Abklärungen. «UMA müssen etwa im Rückkehrstaat von einem Familienmitglied, einem Vormund oder einer Aufnahmeeinrichtung in Empfang genommen werden und es muss eine angemessene Betreuung und Unterbringung sichergestellt werden», sagt sie.
Auch im Asylverfahren ist das Alter gemäss Hadorn relevant, etwa bei der inhaltlichen Beurteilung des Gesuchs oder bei der Frage, ob das Kind in seinen Heimatstaat zurückgeführt werden kann. Hadorn führt zudem aus: «Für UMA, insbesondere für weibliche, gelten auch spezielle Anforderungen an die Unterbringung. Auch werden sie im Asylverfahren besonders eng begleitet und betreut. Ihre Asylgesuche werden zudem prioritär behandelt.»
Wie wird das Alter festgestellt?
Massgebend sind gemäss Hadorn zunächst die Ausweispapiere. Liegen keine vor, muss «die Glaubhaftigkeit einer behaupteten Minderjährigkeit im Rahmen einer Gesamtbeurteilung sämtlicher Indizien vorgenommen werden», führt sie aus. «Identitätsausweise, glaubhafte Aussagen der gesuchstellenden Person sowie glaubhafte Aussagen zu den Gründen für die Nichtabgabe von Ausweispapieren sind starke Indizien», so die Migrationsrechtsexpertin.
Werden auch medizinische Gutachten durchgeführt?
Teilweise schon, sagt Hadorn. «Gemäss dem Bundesverwaltungsgericht sind die Schlüsselbein- beziehungsweise Skelettaltersanalyse und die zahnärztliche Untersuchung zum Beweis der Minder- beziehungsweise Volljährigkeit einer Person geeignet», erklärt sie.
Entsprechend würden die daraus abgelesenen Resultate «unter Umständen als starkes Indiz» gelten, so Hadorn. «Dem Gutachten wird in der Praxis hohe Gewicht beigemessen.» Allerdings: Die Zuverlässigkeit von Altersgutachten werde teilweise infrage gestellt – auch in der Wissenschaft.
Wieso der Begriff Kinder verwendet wird
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Unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) ist ein juristisch klar definierter Begriff. «Als unbegleitete minderjährige Asylsuchende, kurz UMA, gelten Kinder und Jugendliche, die ohne ihre Eltern oder andere erziehungsberechtigte Personen in die Schweiz einreisen und ein Asylgesuch stellen», heisst es etwa im juristischen Lehrbuch «Migrationsrecht» der Rechtsprofessorin Martina Caroni.
Weil ein Kind im zivilrechtlichen Sinne eine Person ist, welche das 18. Lebensjahr noch nicht überschritten hat, wird in diesem Artikel auch das Wort Kind verwendet. Auch die UNO-Kinderrechtskonvention geht von dieser Definition aus.
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