In Appenzell Innerrhoden leben acht jugendliche Asylsuchende. Im Vorlauf des 18. Dezembers, dem internationalen Tag der Migrantinnen und Migranten, schrieb Esther Hörnlimann einen offenen Brief im Appenzeller Volksfreund. Hörnlimann ist Leiterin des Asylzentrums Appenzell und sucht nach Familien, die mit den unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden, den sogenannten UMA, Zeit verbringen. Im Interview erklärt sie, weshalb dieser Schritt nötig war.
SRF News: Warum war dieser öffentliche Aufruf nötig?
Esther Hörnlimann: Wir betreuen die Minderjährigen, weil wir keine Pflegefamilien gefunden haben. Die Jugendlichen sprechen gerade auf Kinder extrem an und geniessen es sehr, wenn sie irgendwo ein bisschen Normalität haben.
Was sollen Familien leisten, die sich um UMA kümmern?
Wir wünschen uns, dass jeder UMA bei einer Familie Anschluss findet. Alle sind alleine hier. Die Familie kann ihn zum Essen einladen, damit er sie kennenlernt, damit er auch mit den Kindern Kontakt hat, damit er mit auf eine Wanderung geht – damit die UMA ein Stück Anbindung an die Schweizer Normalität haben. Es ist aber nicht die Anforderung, dass die Leute die UMA auch psychologisch betreuen. Es geht darum, Zeit zu verbringen.
Warum finden sich in Appenzell keine Pflegefamilien?
Es ist eine unglaublich grosse Aufgabe, jemanden, der kaum Deutsch spricht, rund um die Uhr in eine Familie aufzunehmen. Das würde ich mir auch gut überlegen. Hinzu kommen die Belastungen, welche die UMA mitbringen, zum Beispiel Traumata, Heimweh usw. Wieso wir keine Pflegefamilien gefunden haben, ist schwierig zu sagen. Ich glaube, der Hauptgrund ist der grosse Aufwand.
Sie leisten bereits eine breit abgestützte Begleitung. Die Anschlussfamilien sollen also ergänzend sein.
Absolut. Wir sind während der Bürozeiten da. Während der Abende und der Wochenenden sind die UMA aber alleine. Genau dort wünschen wir uns, dass auch der Kontakt zur lokalen Bevölkerung stattfindet. Wenn wir die Jugendlichen fragen, was sie sich wünschen, sagen sie: Kontakt zu Schweizern.
Das Wichtigste ist ein offenes Herz und Neugier, jemanden kennenzulernen.
Die Jugendlichen haben zum Teil eine lange, traumatisierende Fluchtgeschichte hinter sich. Ist es nicht blauäugig anzunehmen, dass dies mit einem Spieleabend oder einer Wanderung erledigt ist?
Das ist bestimmt nicht die Lösung für alles. Ich glaube aber, es ist ein wichtiger Schlüssel, vor allem weil viele UMA ihre Familien verlassen haben. Das Heimweh ist gross. Irgendwo ein bisschen Normalität zu erleben, ist ein Puzzleteil gegen die Einsamkeit und die Überforderung.
Was müssen Familien oder Private mitbringen, damit sie mitmachen können?
Das Wichtigste ist ein offenes Herz und Neugier, jemanden kennenzulernen. Das Schönste für die Jugendlichen wären Familien mit Kindern. Aber grundsätzlich freuen wir uns über alle, die sich melden, die ihre Türe öffnen und schauen, was entsteht.
Wie begleitet das Sozialamt die Treffen?
Wir stellen die ersten Kontaktpunkte her. Das muss nicht direkt mit einem Jugendlichen sein, sondern wir laden Familien zum Beispiel an einen Spieleabend in der WG ein und schauen auch, wo es gerade besonders funkt. Danach stehen wir zur Verfügung, wenn Fragen kommen.
Wie gehen Sie vor, wenn Probleme auftreten?
In den Gesprächen mit den Bezugspersonen hören wir von den Jugendlichen, wenn etwas nicht funktioniert. Bei den Familien werden wir nachfragen. Wir können auch Tipps geben. Wenn es gar nicht geht, würde sicher zuerst ein Gespräch mit den beiden Parteien stattfinden.
Das Gespräch führte Wera Aegerter.