Während zweieinhalb Stunden hat die grosse Kammer die Mindestlohn-Initiative beraten. Zu einem Ergebnis kam sie nicht – zu viele Nationalräte wollen das Wort ergreifen und ihre Pros und Contras darlegen. Der Ausgang der Debatte, die am Donnerstag fortgesetzt wird, steht aber dennoch fest. Die Bürgerlichen sind gegen die Vorlage, nur SP und Grüne sind dafür. Auch Bundesrat und Ständerat wollen die Initiative zur Ablehnung empfehlen.
Hunderttausende sind betroffen
Mit der Volksinitiative «Für den Schutz fairer Löhne» verlangt der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) einen nationalen gesetzlichen Mindestlohn. Dieser soll bei 22 Franken pro Stunde oder 4000 Franken im Monat liegen und später regelmässig angepasst werden. In der Schweiz verdienen weit über 300'000 Angestellte oder 9 Prozent der Arbeitnehmenden weniger als 22 Franken pro Stunde.
Zum Auftakt der Debatte ergreift Hansruedi Wandfluh (SVP/BE) für die Wirtschaftskommission des Nationalrates das Wort. Die Kommission hatte die Vorlage mit 18 zu 7 Stimmen abgelehnt. «Stellen Sie sich vor, ein Schulabgänger verdient 4000 Franken pro Monat», sagt Wandfluh. «Was soll ihn veranlassen, eine Lehre zu absolvieren, und vier Jahre lang deutlich weniger zu verdienen?»
Die Hälfte der Arbeitnehmer hat keinen GAV
SP-Fraktionssprecher Corrado Pardini (BE) vertritt die Argumente der Kommissionsminderheit. Die Sozialpartnerschaft, auf welche die Initiativ-Gegner immer wieder verwiesen, habe riesige Löcher.
«In den letzten 10 Jahren blieb der Anteil der Arbeitnehmenden, die einem GAV unterstellt sind, bei 50 Prozent stehen. Die Hälfte der Arbeitnehmenden in der Schweiz hat also keine Sozialpartnerschaft und damit keinen gesamtarbeitsvertraglich festgelegten Lohn», sagt Pardini. Im Übrigen sei nicht der Lohn, sondern die offenen Stellen der Grund für die Ein- und Auswanderung.
Thomas Maier (GLP/ZH) verweist auf die Krisensituation im umliegenden Europa. «Haben Sie auch manchmal das Gefühl, im falschen Film zu sein?» Auf einer Aufgeregtheitsskala von 1 bis 10 spiele dieser Film auf einer gefühlten 10. Die Aufregung torpediere die Strukturen, die in der Schweiz den Wohlstand gebracht hätten. «Ich verstehe auch nicht, warum zum Beispiel jemand, der aufgrund von Familiennachzug in die Schweiz kommt und keine Landessprache spricht, oder ein Schüler beim ersten Ferienjob gleich 4000 Franken verdienen soll», sagt Maier.
Don't fix it, it's not broken!
Auch Markus Ritter (CVP/SG) und Ruedi Noser (FDP/ZH) machen gegen den Mindestlohn mobil. «Ein Fehler im Denkansatz dieser Initiative sind die völlig ausgeblendeten regionalen und branchenspezifischen Unterschiede», sagt Ritter. Ein Lohn in Zürich habe einen anderen Wert als in einer ländlichen Region. Er zahle einem Mitarbeiter einen Bruttolohn von 15.30 Franken pro Stunde. Doch er gewähre Kost und Logis.
«Staatliche Mindestlöhne vernichten Arbeitsplätze», so Noser. Denn einfache Jobs würden wegen Unrentabilität auf besser qualifizierte Arbeitsplätze verteilt, durch technische Lösungen ersetzt oder ins Ausland verlagert. «Gerade leistungsschwache und schlecht qualifizierte Leute bleiben so auf der Strecke, respektive auf der Strasse.» Ein staatlicher Mindestlohn fördere so die Schwarzarbeit. Noser befürchtet auch eine Sogwirkung im Ausland. «Für viele ist dieser Mindestlohn doppelt so viel, als sie je im eigenen Land verdienen werden.»
Nationalräte der SP und Grünen wehren sich. «In der Schweiz leben 600'000 Menschen in Armut», sagt Ada Marra (SP/VD). Einer von 21 Personen sei ein «Working Poor». Eigentlich müssten insbesondere Familien von ihren Salären leben können – doch ein Drittel der Sozialhilfebezüger sei arbeitstätig und könne nicht vom Lohn leben.
Maja Ingold (EVP/ZH) hält entgegen, dass der Mindestlohn nur für Einzelpersonen gelte – für Familien reiche dies nicht. Sie bräuchten trotzdem Sozialhilfe. Für das verfügbare Einkommen spielten andere Faktoren wie Steuerabzüge eine grössere Rolle als der Lohn. Es gebe viel wirkamere Mittel gegen Armut als ein Mindestlohn, sagt auch Andrea Caroni (FDP/AR).
Zusammengefasst argumentierten die Befürworter der Initiative vor allem mit der «staatlichen Subvention» der Tieflöhne. Denn über die Sozialhilfe, welche diese Personen empfingen, zahle der Steuerzahler einen Teil der Löhne. Das Hauptargument der Gegner war,
dass der Arbeitsmarkt gut funktioniere und das «Erfolgsmodell Schweiz» nicht gefährdet werden dürfe.
Ebenfalls auf der Traktandenliste in diesem Geschäft steht eine Motion. Sie verlangt, dass der Vollzug der flankierenden Massnahmen verbessert und sozialpartnerschaftliche Instrumente gestärkt werden.