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Mission gescheitert Bundesgericht muss sich weiter mit Bagatellfällen befassen

Etwa 8000 Fälle landen pro Jahr vor Bundesgericht – zu viel in den Augen des höchsten Schweizer Richtergremiums. Darum steht seit Jahren die Forderung im Raum, dass die Zahl der Fälle verringert werden muss. Bloss wie? Um diese Frage hat die Politik sieben Jahre gefeilscht. Das Ergebnis: Es gibt keine Lösung. Bundeshausredaktor Curdin Vincenz und das Protokoll eines Scheiterns.

Curdin Vincenz

Bundeshausredaktor

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Curdin Vincenz arbeitet seit 1998 für SRF. Seit 2016 berichtet er über das Geschehen im Bundeshaus – mehr als fünf Jahre für das Radio und seit Juni 2022 für das Fernsehen. Zuvor war er unter anderem als Regionalkorrespondent in Zürich und als Moderator der Radiosendung «Rendez-vous» tätig. Er hat an der Universität Bern Geschichte und Politikwissenschaft studiert.

SRF News: Das Gesetz wurde endgültig von der Traktandenliste gestrichen. Warum?

Curdin Vincenz: Ganz einfach: Es gab am Ende keinen Kompromiss, den eine Mehrheit unterstützt hätte. Es wurde so lange am Gesetz herumgeflickt, bis gar niemand mehr zufrieden war. Das Bundesgericht befand, es bringe ihm selbst keine Entlastung. Und auch für den Bürger auf der Suche nach Recht bringe es keine Verbesserung, so das Parlament.

Was bräuchte es, damit nicht so viele Fälle vor Bundesgericht landen?

Damit weniger Fälle in Lausanne landen, müssen Grenzen gezogen werden. Ein Beispiel wären finanzielle Grenzen: Ab wie viel Geld ist ein Streit bundesgerichtswürdig? Hier stand im gescheiterten Gesetz einmal die Grenze von 5000 Franken zur Diskussion. Für einen einfachen Bürger könnten aber auch schon 1000 Franken ein Problem sein, hiess es dann. Darum fand eine Mehrheit aus Linken und SVP in der Beratung, 500 Franken müsse die Limite sein. Das Beispiel zeigt: Was gut sein kann für den Gebüssten ist nicht so gut für die Arbeitsbelastung der Lausanner Richter.

Der Grundkonflikt ist immer: Arbeitsbelastung der Richter versus möglichst viel Rechtsschutz für Bürger. Da ist es schwierig, Kompromisse zu finden.

Eine andere Möglichkeit der Einschränkung wäre, wenn das Bundesgericht nur wichtige, juristisch bedeutsame Fälle behandeln würde. Das zu definieren ist aber nicht so einfach. Es besteht die Gefahr, dass gewisse wichtige Fragen durch die Maschen fallen. Dagegen sollten im Gesetz Auffangnetze gespannt werden. Und in diesen Netzen hat sich die Politik nun verstrickt. Kurzum, der Grundkonflikt ist immer: Arbeitsbelastung der Richter versus möglichst viel Rechtsschutz für Bürger. Da ist es schwierig, Kompromisse zu finden.

Warum stellt man nicht einfach mehr Richterinnen und Richter ein?

Das wäre eine Möglichkeit und ist auch gar nicht so abwegig. Heute hat das Bundesgericht 38 Vollzeitstellen. Diese hatte es auch schon vor zehn Jahren. In diesem Zeitraum ist die Bevölkerung in der Schweiz um fast 900'000 Menschen gewachsen. Man könnte also durchaus argumentieren, dass die eine oder andere Stelle mehr gerechtfertigt wäre.

Aus Sicht des Bundesgerichts gibt es aber noch ein anderes Problem, nämlich die Verteilung der Fälle. Im Strafrecht nehmen diese überproportional zu. Darum wird sich das Bundesgericht umorganisieren müssen. Eine entsprechende Arbeitsgruppe werde nun eingesetzt, hat der Bundesgerichtspräsident Anfang Woche bestätigt. Das Parlament will zudem einen neuen Anlauf nehmen. So will es die unumstrittenen Teile aus dem gescheiterten Gesetz herauslösen und nur diese beschliessen.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

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