Missstände im Schweizer Sport - Synchronschwimmen: So will der Verband die Probleme angehen
Die Missstände im Synchronschwimmen sind gross. Gewaltsame Trainingsmethoden, Vetternwirtschaft und Chaos. Was SRF Ende Juni öffentlich machte, bestätigt nun auch ein Bericht. Der Verband will die Sportart verändern. Doch ein Kulturwandel braucht viel Schnauf.
Ewen Cameron ist ein bedächtiger Mann. Der Arzt und Präsident des Schwimmverbands formuliert seine Sätze sorgfältig. Umso klarer ist seine Ansage: «Wenn wir jetzt nichts ändern, ist die Sportart Synchronschwimmen akut gefährdet.»
Auszüge aus dem Bericht
Bericht bestätigt massive Missstände
Cameron hat den 28-seitigen Bericht in Auftrag gegeben. Drei Sportpsycholog:innen analysierten den ganzen Bereich Synchronschwimmen und bestätigen nun die Missstände, die SRF Investigativ im Juni öffentlich machte: unethische Trainingsmethoden, chaotische Organisation, Vetternwirtschaft und Interessenskonflikte. Auch sei der Umgang mit den Athletinnen nicht wertschätzend; sie würden oft für Aussehen, Gewicht und Leistung kritisiert.
Das läuft falsch im Synchronschwimmen
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Ende Juni machte SRF Investigativ massive Vorwürfe im Schweizer Synchronschwimmen publik. Mehrere Athletinnen berichteten von einem Klima der Angst, Vetternwirtschaft und Trainingsmethoden, welche oft über die Schmerzgrenzen hinausgingen: Anschreien, Beschimpfen, Drohen, anzügliche Bemerkungen, Essverbote. Und: gewaltsames Dehnen bis zum Muskelriss. Es bestanden offensichtliche Interessenskonflikte, die Sportdirektion schien mit der Arbeit komplett überfordert und kündigte aufgrund der SRF-Berichterstattung ihren Rücktritt an. Interne Dokumente zeigten, dass der Schwimmverband von «Chaos» und «unhaltbaren Zuständen» schon seit Monaten wusste.
Das soll sich im Synchronschwimmen ändern
Der Bericht schlägt nun eine ganze Palette an Massnahmen vor, die der Schwimmverband peu à peu umsetzen will (siehe Box). So sollen etwa die Wettkämpfe fairer werden. Eltern und Trainerinnen dürfen nicht mehr als Richterinnen amten; Selektionskriterien werden klar definiert. Auch bei der Trainerinnenausbildung will der Verband ansetzen.
Das will der Verband verbessern
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«Swiss Aquatics» will bis November unter anderem die folgenden Massnahmen angehen:
Die Sportdirektion neu aufstellen. Die bisherige sei «ihrer Aufgabe in keiner Art und Weise gewachsen gewesen», heisst es im Bericht der Sportpsycholog:innen. Es wird u.a. eine neue Struktur vorgeschlagen. Auch dürfen Eltern von Nationalkader-Schwimmerinnen künftig keine Mandate mehr annehmen.
Nationaltrainerinnen besser aussuchen, ausbilden und im Training begleiten. Sie sollen zudem attraktivere Anstellungsbedingungen erhalten. Auch werden die Athletinnen künftig jährlich befragt und bei schlechter Beurteilung kann es zur Suspension der Trainerin kommen.
Viele Nationalkader-Synchronschwimmerinnen seien stark überlastet und «verheizt» worden, heisst es im Bericht. Um ihnen mehr Erholungszeit zu gewähren, sollen sie künftig etwa nur noch in einem Kader schwimmen (Junioren oder Elite). Trainingslager werden häufiger im Inland durchgeführt.
Das Richterwesen wird neu aufgesetzt. Eltern und Trainer:innen sollen an Wettkämpfen nicht mehr ihre eigenen Schützlinge bewerten dürfen. Es werden zudem regelmässig Richterinnen aus dem Ausland beigezogen.
Die Finanzierung des Bereichs Synchronschwimmen soll neu konzeptioniert werden. Laut Verbandspräsident Cameron ist eine Quersubventionierung durch andere Schwimmbereiche zumindest zu Beginn nötig. Sponsoring sei erst eine Option, wenn Synchronschwimmen wieder ein besseres Image habe.
Ein Hoffnungsschimmer
Elite-Synchronschwimmerin Ladina Lippuner war eine der Athletinnen, die sich im Juni getraute, in der Öffentlichkeit über die Missstände zu berichten. Es war ein intensiver Sommer für sie: Medienberichte, Schulprüfungen, EM und WM. Die geplanten Massnahmen stimmen sie hoffnungsvoll: «Ich bin erstaunt, dass etwas passiert ist über den Sommer. Es freut mich, zu sehen, dass sich Leute einsetzen und was verändern wollen.»
Nationalkader an EM und WM diesen Sommer
Kulturwandel – nur auf dem Papier?
Was auffällt: Die Massnahmen, die der Verband angehen will, wirken nach Papier und Organisation. Doch genau das sei das Verdienst des Berichts, sagt Katharina Albertin, Präsidentin der Schweizer Sportpsychologie SASP: «Der Bericht zeigt sehr klar auf, wie viel rundherum wichtig ist, damit Spitzensport funktioniert. Nämlich der ganze Überbau und die Organisation.» Deshalb sei es auch wichtig und richtig, bei der Struktur anzusetzen.
Und, sagt Albertin, eine neue Kultur könne durchaus auch mit den gleichen Leuten gelebt werden. Man sollte etwa bei Vetternwirtschaft nicht per se von Böswilligkeit ausgehen. Im Sport beginne alles mit Ehrenamtlichkeit. «Das falsche Handeln ist da eher Ausdruck eines fehleranfälligen Systems.» Aber die Sensibilisierung brauche unglaublich viel Zeit und Ressourcen. Für den Verband beginne die Arbeit jetzt erst.
Eine Herkulesaufgabe
Am 22. September 2022 soll nun zuerst eine neue Sportdirektion Synchronschwimmen gewählt werden. Die bisherige trat aufgrund der SRF-Recherchen im Juni zurück. Spätestens bis November will der Schwimmverband die neuen Konzepte fertig haben.
Klar ist, es dürfte noch viel Zeit nötig sein, bis das Synchronschwimmen neu aufgestellt ist. Den Synchronschwimmerinnen wird viel Geduld abverlangt werden. Co-Verbandspräsident Ewen Cameron verspricht, dass das Problem nicht einfach in der Schublade verschwindet. Bis 2024 will Cameron die Sportart in ruhigere Gewässer führen: «Dies ist für uns eine Top-Priorität.»
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