Fairness und Gerechtigkeit: Wer mit diesen Worten in die politische Arena tritt, darf nicht verlieren. Fairness muss immer siegen, Gerechtigkeit auch. Die Mitte-Partei hat darum nicht allzu tief im Wortschatz graben müssen, um ihre heute lancierten Volksinitiativen mit dem Wörtchen «fair» zu schmücken; «faire Steuern» und «faire Renten».
Nur: Was ist fair? Ist es fair, dass fünf Prozent Steuerzahler rund zwei Drittel der Bundessteuern abliefern? Ist es fair, dass Zürcherinnen und Zürcher über den Finanzausgleich auch Steuern für Bern bezahlen? Dass Krankenkassenprämien in Städten oft teuer sind als auf dem Land? Oder dass Frauen mehr AHV beziehen als Männer, aber weniger einzahlen?
Die Beispiele zeigen: Fairness in der Politik wirft Fragen auf. Was fair ist und was nicht, was gerecht und ungerecht, das bestimmt im Rahmen des gesellschaftlichen Zusammenlebens fast immer der eigene Standpunkt, die eigene Erfahrung, die politische Couleur. Fairness hat immer mindestens zwei Seiten. Oft aber wird nur eine beleuchtet – auch bei «faire Renten».
Keine Witwenrente bei Konkubinatspaaren
Der Standpunkt der Mitte-Partei geht so: Fair ist, wenn Ehepaare bei der AHV künftig nicht mehr weniger (maximal 3585 Franken pro Monat), sondern gleich viel ausbezahlt bekommen wie Konkubinatspaare (maximal 4780 Franken). Fett prägen diese Zahlen die Homepage ihrer Initiative – und tatsächlich ist die AHV von Ehepaaren auf 150 Prozent (der beiden Vollrenten) beschränkt. Konkubinatspaare hingegen kassieren die je pro Kopf zustehende AHV-Rente, zusammen also 200 Prozent.
Das ist nicht fair! Ist es doch. Aber erst, wenn man die ganze Geschichte erzählt: Ehepaare erhalten dafür eine Witwenrente – Konkubinatspaare nicht. Laut Bundesrat sind Ehepaare in der AHV und IV schon heute bessergestellt. Nimmt man die 2. Säule dazu, kommen die angeblich unfair behandelten Senioren-Ehepaare noch besser weg: Im Todesfall erhält die überlebende Person bis zu 65 Prozent aus der Pensionskasse des verstorbenen Ehepartners – per Gesetz.
Bei Konkubinatspaaren erhält die überlebende Person per Gesetz rein gar nichts. Viele Pensionskassen machen zwar eine freiwillige Auszahlung, aber auch nur, wenn sich das Konkubinatspaar vorher darum kümmert und seit mindestens fünf Jahren im selben Haushalt lebt. Ehepaare bekommen Geld, selbst, wenn sie seit Jahren getrennte Wege gehen.
Konkubinatspaare in Debatte einschliessen
Ähnlich in der 3. Säule: Ehepartner sind automatisch per Gesetz begünstigt, Konkubinatspaare nur, wenn sie das beantragen. Sollte der verstorbene Konkubinatspartner jedoch noch an eine längst verflossene, nicht aber geschiedene Ehe gebunden sein, geht das Geld automatisch dahin und nicht zum aktuellen Partner. Das Gesetz stellt eine tote Ehe über ein gelebtes Konkubinat.
Die Mitte setzt sich mit der Faire-Renten-Initiative für Ehepaare ein. Ist das fair? Ja, wenn sich jemand in der Debatte genauso für Konkubinatspaare einsetzt. Die Beispiele zeigen: Fairness und Gerechtigkeit sind in der Politik beliebte Schlagworte, aber kaum je die ganze Wahrheit.