Über eine Viertelmillion Menschen mit einer Sehbehinderung besitzen in der Schweiz das Stimm- und Wahlrecht, schätzt der Dachverband für das Blindenwesen. Sie alle können jedoch nicht geheim abstimmen: Jemand muss ihnen die Unterlagen vorlesen und beim Ausfüllen helfen. Eine neue Lösung soll dieses Problem beheben.
«Kein absolutes Stimmgeheimnis»
Er habe bereits brieflich abgestimmt, sagt Gerd Bingemann. Er ist 61 und blind. Abstimmen würde er jeweils, indem ihm seine Frau die einzelnen Stimmzettel kurz vorlese und dann das Kreuz dort setze, wo er es wünsche. «Dann führt sie mir den Kugelschreiber mit der Hand an den Startort der Unterschriftszeile auf dem Stimmrechtsausweis», so Bingemann weiter.
Alleine abstimmen aber, das kann er als blinde Person nicht. Natürlich vertraue er seiner Frau, dass sie ihm alles richtig vorlese. «Aber es ist natürlich so, dass das absolute Stimmgeheimnis hier nicht gewahrt wird, weil sie zwangsläufig mitbekommt, wie ich stimme», sagt Bingemann.
Menschen mit Sehbehinderung benötigen in der Schweiz Unterstützung beim Wählen und Abstimmen. Es gibt keine Lösung, wie ihr Stimmgeheimnis gewahrt werden kann. Das soll sich jetzt ändern.
Der Schweizerische Zentralverein für das Blindenwesen, SZB, hat eine Schablone entwickelt, mit der auch Menschen mit Sehbehinderung alleine abstimmen können. Es ist eine Plastikhülle, in die man die Abstimmungsbögen nacheinander reinschiebt. Drei rechteckige Öffnungen in der Hülle erlauben dann, genau am richtigen Ort «Ja» oder «Nein» zu schreiben.
Einführung ist kompliziert
Lange Zeit hat man gehofft, dass das Problem mit der Einführung des E-Votings gelöst würde. Aber E-Voting bleibt wohl Zukunftsmusik. «Statt wieder lange auf eine allumfassende Lösung zu warten, möchten wir den Menschen mit Sehbehinderung oder Blindheit möglichst rasch einen wesentlichen Schritt hin zur selbstständigen Teilnahme an Abstimmungen ermöglichen», sagt Nina Hug vom SZB deshalb. Auch wenn mit dieser Lösung erst einmal nur das Abstimmen und noch nicht das Wählen möglich sei.
Doch die Einführung der Schablone ist nicht unkompliziert. Die Abstimmungsbögen müssten national vereinheitlicht werden. Und das ist nicht ganz einfach, wie die Bundeskanzlei mitteilt. Sie betont aber, man stehe im Gespräch. Der Dachverband für das Blindenwesen plant nun, das Anliegen mittels Motion ins Parlament einzubringen.