Kommt die Mehrfahrtenkarte oder das Abo aufs Jahr günstiger, wie viel Käse braucht es für den Raclette-Abend mit Freunden, und was kostet die Pizza in Mailand, umgerechnet in Schweizer Franken?
Mit dieser «Alltagsmathematik» tut sich ein Teil der Schweizerinnen und Schweizer schwer. Laut dem schweizweit tätigen Verein «Lesen und Schreiben» sind es schätzungsweise neun Prozent. Das sind mehr als 400'000 erwachsene Personen.
Spiessrutenlauf beim Einkauf
Sara ist eine von ihnen. Gegenüber SRF News erzählt die 27-Jährige, wie sie in ganz alltäglichen Situationen auf Hindernisse stösst. So etwa, wenn sie im Laden Orangen kauft.
Sie entscheidet sich für Orangen aus Italien. Auf die Preisschilder achtet sie nie. So kann sie auch nicht berechnen, ob die spanischen Orangen selbst in Aktion teurer sind als die italienischen Orangen zum Normalpreis. Dafür müsste man einen Dreisatz anwenden.
Hilfe für Betroffene und weiterführende Informationen
Sara bereiten aber bereits die grossen Zahlen Mühe. «Zahlen bleiben bei mir nicht im Kopf, sie verschwinden.» Als Kind wurde bei Sara eine Lernschwäche diagnostiziert. Sie besuchte eine spezielle Klasse. Ihre drei jüngeren Geschwister lernten einfacher und schneller. «Es machte mich manchmal wütend und traurig», erinnert sie sich.
Heute hat sie sich damit abgefunden. Seit acht Jahren arbeitet die junge Frau in einem geschützten Arbeitsumfeld. Sie erhält so mehr Zeit, um ihre Arbeit zu erledigen.
2.35 Franken kosten die Orangen. Sara bezahlt an der Kasse mit einem 5-Franken-Stück. Sie muss hoffen, dass die Verkäuferin den richtigen Betrag zurückgibt. Menschen mit Problemen in der Alltagsmathematik würden eher betrogen, heisst es beim Verein «Lesen und Schreiben Schweiz».
Sie würden oft teurer einkaufen als andere. Auch in anderen Lebensbereichen hätten sie Probleme, zum Beispiel könnten sie beim Lesen des Fahrplans die benötigte Zeit nicht einrechnen.
Georg Held ist Erwachsenenbildner und Kursleiter für Alltagsmathematik. Er sagt, es gebe verschiedene Gründe, warum jemand Schwierigkeiten beim Rechnen hat. Bei manchen Betroffenen konnten schon die Eltern nicht gut rechnen. Andere waren lange krank und haben in der Schule viel verpasst.
Es soll niemand merken, dass ich diese Schwäche habe.
Es könne aber auch an der Lehrperson liegen, die den Kindern die abstrakte Welt der Zahlen nicht näherbringen kann. Genau das versucht Held in seinen Kursen in Alltagsmathematik. «Zahlen betreffen immer auch mich selber: meine Körper- oder Schuhgrösse, mein Alter, mein Gewicht. Dann verstehe ich wieder, dass Zahlen nicht nur abstrakt, sondern auch sehr real sein können.»
Wie beim Einkaufen oder beim Kochen. Rezepte seien manchmal wegen der Mengenangaben eine Herausforderung, erzählt Sara. «Wenn es gerade Zahlen sind, dann schaffe ich es.» Mit Kommazahlen oder Massen wie Deziliter hat sie aber Probleme.
Hilfe bei der Alltagsmathematik
Ihre Freunde wüssten von ihrer Schwäche. Sonst aber versucht Sara sie zu verstecken. Zum Beispiel, wenn die Verkäuferin das Rückgeld gibt. «Ich tue dann so, als würde ich draufschauen – aber ich zähle gar nicht mit. Es soll niemand merken, dass ich diese Schwäche habe.»
Sara hat aber auch gelernt, Hilfe anzunehmen: Da sie auch beim Lesen und Schreiben Mühe hat, macht sie einen Kurs beim Verein Lesen und Schreiben. Die Kursleiterin thematisiert auch die Alltagsmathematik. Sara fühlt sich bereits sicherer im Umgang mit Zahlen.