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Wenn Rechnen im Alltag zur unlösbaren Aufgabe wird
Aus Regionaljournal Ostschweiz vom 14.03.2022. Bild: Keystone
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Mühe mit Rechnen und Lesen «Erfolgserlebnisse sind wichtig für den Lernvorgang»

Man geht einkaufen und überschlägt im Kopf, wie viel der Einkauf kostet. Für fast jede zehnte erwachsene Person in der Schweiz sind solche Rechnungen im Alltag aber unlösbar. Rund 400'000 Menschen – also gut einmal die Stadt Zürich – leiden an einer sogenannten Dyskalkulie, haben also Mühe mit Rechnen. Bei anderen Grundkompetenzen wie Lesen oder Schreiben sind es sogar doppelt so viele. Am heutigen «Internationalen Tag der Mathematik» will der «Schweizer Dachverband Lesen und Schreiben» auf Probleme mit den Grundkompetenzen aufmerksam machen. Bildungsexperte Roger Peter erklärt, was die Gründe für diese Schwächen sind – und was man dagegen tun kann.

Roger Peter

Roger Peter

Leiter Weiterbildung am Bildungszentrum für Wirtschaft in Weinfelden

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Roger Peter ist Prorektor des Bildungszentrums für Wirtschaft in Weinfelden (BZWW) im Kanton Thurgau, er ist dort auch für die Weiterbildung zuständig. Mit über 200 Kursen bietet das BZWW das umfassendste Weiterbildungsangebot im Kanton. Dazu gehören auch Kurse in den Grundkompetenzen Lesen oder Rechnen.

SRF: Wie ist es möglich, dass in der Schweiz – einem Land mit gutem Bildungsniveau – so viele Leute Mühe haben mit Rechnen oder Lesen?

Roger Peter: Schulbildung führt nicht automatisch dazu, dass alle gleichermassen davon profitieren. Da kann die Bildung noch so gut sein. Es kommt auf die Voraussetzungen und die Rahmenbedingungen an. Wichtig ist auch, welche Gefühle man entwickelt: Bringt ein Kind trotz fleissigem Lernen nach jeder Matheprüfung eine schlechte Note heim, wird es vermutlich nie gerne rechnen.

Und was bedeutet das dann für den Alltag?

Das muss nichts heissen. Aber Erfolgserlebnisse sind für den Lernvorgang wichtig, sonst fehlen die Kompetenzen im Erwachsenenalter. Es gibt Menschen, die in der Schule noch knapp genügend waren, die danach aber jede Motivation für Mathe verlieren und vielleicht auch nicht mehr viele Gelegenheiten zum Rechnen haben.

Ein Mangel bei den Grundkompetenzen lässt sich nicht einfach mit einem Fingerschnippen beheben

Es gibt nationale Sensibilisierungskampagnen und Kursangebote für die Grundkompetenzen. Reicht das?

Tatsächlich ist das Bewusstsein für diese Schwächen und das Angebot, sie zu beheben, heute viel grösser. Die Schulen gehen viel mehr auf Schwächere ein als früher und auch für Erwachsene gibt es gute Angebote und finanzielle Unterstützung. Aber: Ein Mangel bei den Grundkompetenzen lässt sich nicht einfach mit einem Fingerschnippen beheben.

Aus Scham und Angst entwickeln Betroffene Strategien, das Problem zu umgehen: Kennen Sie eine?

Ich habe einen Bekannten, der mich einmal darum bat, etwas für ihn zu schreiben, weil er die Hand verstaucht habe. Dazu muss man sagen: Gerade eine Lese- oder Schreibschwäche fällt nicht zwingend auf, wenn die Betroffenen sprechen. Sich mündlich auszudrücken, ist in der Regel kein Problem für sie. Mein Bekannter fragte mich dann später noch einmal, ob ich ihm bei einer umfangreichen Bewerbung helfen könne. Ich sagte ihm, er solle mir die Unterlagen schicken, ich schaue sie mir dann an. Erst da erzählte er mir, dass er gar nicht in der Lage ist, die Bewerbung zu schreiben.

Digitale Hilfe per Taschenrechner ist nicht per se das Problem, sofern die Rechnung verstanden wird.

Und wie ist es mit einer Rechenschwäche? Lässt sich diese auch verstecken?

Bekommt man Hilfe, kann man sich mit einer Rechenschwäche im Alltag ziemlich lange durchschlagen. Aber es gibt Situationen, in denen die Betroffenen an die Grenzen kommen: bei der genauen Dosierung eines Medikaments oder eines Reinigungsmittels zum Beispiel. Das kann gefährlich werden.

Jemand braucht für das Addieren von 24 und 39 einen Taschenrechner. Ist das schon eine Rechenschwäche?

Gute Frage. Digitale Hilfe per Taschenrechner ist nicht per se das Problem, sofern die Rechnung verstanden wird. Braucht also jemand zum Prozentrechnen zwar den Taschenrechner, versteht aber den Lösungsweg, dann ist das keine Rechenschwäche.

Das Gespräch führte Michael Ulmann.

Regionaljournal Ostschweiz, 14.03.2022, 17:30 Uhr;

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