Der «Fall Mike», bei dem ein schwarzer Mann nach einer Polizeiintervention in Lausanne verstorben ist, gibt Anlass, der Polizei genauer auf die Finger zu schauen. Polizisten stehen jetzt vor Gericht wegen fahrlässiger Tötung eines mutmasslichen Drogendealers. Stefan Aegerter, der höchste Schweizer Polizeiausbildner, sagt, die Korps seien nicht rassistisch.
SRF News: Haben die Schweizer Polizeikorps ein Rassismusproblem?
Stefan Aegerter: Ich kann das so nicht bestätigen. Rassistische Vorurteile, Diskriminierung und Ungleichheiten, die in den Strukturen und Institutionen, somit in einer Gesellschaft, eingebettet wären, erkenne ich nicht.
Wenn Sie das sagen, worauf stützen Sie sich?
Wir befragen in einer Längsschnittstudie Aspirantinnen und Aspiranten beim Berufseinstieg. Wir sehen im Bereich der Werthaltung ein gegenteiliges Bild. Die Akzeptanz bezüglich Diversität, anderer Hautfarbe, Herkunft und Glaube ist kein Thema mehr.
Schwarze werden nicht schneller für Kriminelle gehalten als Weisse?
Nein. Das weise ich klar zurück.
Nach welchen Kriterien entscheiden Polizisten und Polizistinnen, eine bestimmte Person zu kontrollieren?
Um eine Personenkontrolle zu rechtfertigen, braucht es objektive Anhaltspunkte. Angehörige der Polizei intervenieren aufgrund einer individuellen Situation oder eines Lagebildes. Eine Polizistin oder ein Polizist sind befugt, bei einer Ermittlung gewisse Zwangsmassnahmen anzuwenden. Ein Polizist darf einen Verdächtigen festnehmen und ihn zwingen, zur Befragung auf dem Polizeiposten zu erscheinen. Und eine Polizistin darf eine Verdächtige, wenn nötig, mehrere Stunden befragen.
Alle Formen von Zwangsanwendung sind strikte reglementiert und unterstehen immer den Menschenrechten.
Aber all diese Formen von Zwangsanwendung sind strikte reglementiert und unterstehen immer den Menschenrechten. Eine Polizistin oder ein Polizist darf niemals Zwangsmassnahmen anwenden, die seine Befugnisse überschreiten.
Wie werden angehende Polizistinnen und Polizisten mit Blick auf dieses sogenannte Racial Profiling ausgebildet?
Racial Profiling ist eine wichtige Thematik, die wir wie alle anderen laufend in die Weiterentwicklung der Ausbildungen einfliessen lassen. Wir haben in den letzten Jahren viel Aufwand getätigt, um auch im Bereich der interkulturellen Kompetenzen, der bürgernahen Polizeiarbeit und bei Fragen des gesellschaftlichen Wandels unsere Ausbildungen kritisch zu hinterfragen.
Wenn die Polizei das demografische Profil der Gesellschaft angemessen abbildet, stärkt es ihre Legitimität und erhöht ihre operative Wirksamkeit.
Was wird unternommen, um diese Diversität in den Schweizer Polizeikorps zu fördern?
Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Es ist ein Aspekt, der mir persönlich etwas Sorgen macht und da müssen wir besser werden. Wenn sich die Polizei als Institution weiterentwickeln will, muss sie auch die Frage beantworten, wie sie Diversität und Vielschichtigkeit der Gesellschaft als Polizei selbst aufnimmt und in ihren eigenen Reihen glaubwürdig abbildet.
Hier wollen wir mittelfristig konkrete Resultate erzielen. Das zeigt auch eine Umfrage bei 1700 Kadern in allen Polizeikorps. Ich bin überzeugt: Wenn die Polizei das demografische Profil der Gesellschaft angemessen abbildet, stärkt es ihre Legitimität und erhöht ihre operative Wirksamkeit. Das wiederum trägt zu einem höheren Vertrauen in die Polizei bei. In der jährlichen Sicherheitsstudie der ETH Zürich schneidet die Polizei als Institution bezüglich des Vertrauens durch die Bevölkerung immer am besten ab.
Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.