Eine der grossen Fragen klärt Professor Thomas Widmer gleich zu Beginn: «Wir haben keinerlei Hinweise gefunden auf Manipulationen oder Verfälschungen, die mit Absicht erfolgt wären.» Trotzdem fanden er und sein Team mehrere Schwachstellen bei der Arbeit des Stimmbüros der Stadt St. Gallen.
Thomas Widmer arbeitet beim Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich. Er hat vom St. Galler Stadtrat den Auftrag erhalten, die Ursachen der Wahlpanne zu untersuchen und mögliche Massnahmen aufzuzeigen.
Der Bericht liegt nun vor und umfasst knapp 40 Seiten. Darin enthalten sind die Analyse sowie mögliche Massnahmen.
Ein Problem: Wer macht was im Stimmbüro?
Eine Schwachstelle im St. Galler Stimmbüro waren laut dem Bericht die Rollen, die nicht immer eingehalten wurden. Es galt eher das Prinzip, dass alle dort aushelfen, wo es gerade nötig ist.
So habe der Präsident des Stimmbüros zum Beispiel auch Zahlen übertragen, obwohl er in seiner Funktion eher für die Kontrolle der Resultate zuständig wäre. Es gab dazu keine offiziellen Regeln, klare Rollenbeschreibungen fehlten. Etwas, das die Stadt St. Gallen nun anpassen will.
Zudem sei nicht genügend darauf geachtet worden, dass das Stimmbüro ausgeglichen besetzt war, insbesondere in Bezug auf die Parteizugehörigkeit. Auch seien mehrere Mitglieder der gleichen Familie – und einmal auch ein Ehepaar – gemeinsam zum Einsatz gekommen.
Die falsche Formel eingesetzt
Im konkreten Fall des falschen Wahlergebnisses wurde der Fehler bereits am Tag nach der Wahl bekannt: In einer Excel-Tabelle wurde am Morgen des Wahlsonntags eine Formel falsch eingetragen. Deshalb lieferte die Tabelle falsche Ergebnisse.
Das überraschende Ergebnis wurde zu wenig kritisch hinterfragt.
Thomas Widmer dazu: «Man kann sagen, dass einerseits vielleicht Unachtsamkeit, andererseits das grosse Vertrauen in die bereits bestehende, etablierte Vorgehensweise dazu führte, dass man das überraschende Ergebnis zu wenig kritisch hinterfragte.»
Auch bei anderen Gemeinden dürfte es Schwachstellen geben
Den Hauptgrund sieht Thomas Widmer also in den Prozessen, die sich über die Jahre entwickelt und eingespielt hatten: «Man hat es gemacht, ‹wie man es immer gemacht hat›.» Mitglieder des Stimmbüros hätten neue Mitarbeitende entsprechend eingearbeitet. «So haben sich verschiedene Dinge ergeben, die nicht optimal sind.»
Man sollte sich nicht darauf verlassen, dass Dinge, die in der Vergangenheit gut gelaufen sind, auch in Zukunft gut laufen.
In anderen Städten und Gemeinden dürfte es ähnliche Schwachstellen geben. Der Tipp des Experten: «Ich glaube, man sollte sich nicht zu sehr darauf verlassen, dass Dinge, die in der Vergangenheit gut gelaufen sind, auch in Zukunft gut laufen. Man sollte immer wieder systematisch hinterfragen und überprüfen.»
St. Gallen setzt nun Massnahmen um
Verschiedene Massnahmen sind beschlossen. Sie beinhalten unter anderem neue Kontrollvorgaben sowie eine klarere Regelung der Zuständigkeiten.
Die Ergebnisse sollen – laut der St. Galler Stadtpräsidentin Maria Pappa – mit anderen Städten und Gemeinden geteilt werden. Einige hätten auch schon von sich aus nachgefragt.
Im Bericht gibt es auch Lob für das Stimmbüro in St. Gallen. Es habe sich sehr offen für die Untersuchung und auch selbstkritisch gezeigt. Die Analyse habe zudem auch keine Hinweise darauf gefunden, dass es bei früheren Abstimmungen oder Wahlen Fehler gegeben habe, die auf bewusste Manipulationen zurückzuführen sind.