Am Abend hat die Zürcher SVP entschieden, neben Finanzdirektor Ernst Stocker Natalie Rickli ins Rennen um einen Sitz im Regierungsrat zu schicken. Im Vorfeld hatte Ricklis parteiinterner Gegenkandidat Christian Lucek mächtig für Wirbel gesorgt. In einem E-Mail, das der Tagesanzeiger öffentlich machte, hatte er Parteikollegen aufgefordert, Rickli mit persönlichen Fragen zu ihrem Zivilstand und ihrer Familiensituation zu konfrontieren.
Kurz vor dem Anlass entschuldigte sich Lucek gegenüber «10vor10» dafür: «Ich habe am Morgen mit Natalie Rickli gesprochen. Mit den Erfahrungen aus dem Gespräch muss ich sagen, dass ich einen Fehler gemacht habe. Es tut mir leid.»
Mich hat irritiert, dass Natalie Rickli ihren Zivilstand bei der Einreichung der Bewerbungsunterlagen nicht öffentlich machen wollte.
Gleichzeitig besteht er aber darauf, die Intervention bei den Parteikollegen sei sachlich begründet gewesen: «Mich hat irritiert, dass Natalie Rickli ihren Zivilstand bei der Einreichung der Bewerbungsunterlagen nicht öffentlich machen wollte. Ich war der Meinung, man sollte transparent sein.»
SVP-Frauen wehren sich für Rickli
Längst sorgen Luceks Äusserungen weit über die Kantonsgrenzen hinaus für Empörung. Verschiedene SVP-Parlamentarierinnen bringen ihre Verärgerung zum Ausdruck. Die Luzerner Nationalrätin Yvette Estermann fordert ihre männlichen Kollegen zu mehr Fair-Play gegenüber Frauen auf: «Ein starker Mann hat solche Äusserungen nicht nötig. Vielleicht sehnen sich gewisse Männer nach den Monokulturen von früher, als sie alleine bestimmen konnten.» Aber das sei heute vorbei.
Auch die SVP-Nationalrätin Nadja Pieren zeigt sich über das Vorgehen von Lucek entrüstet: «Als Mitkandidat mit einem E-Mail zu solchen Fragen aufzurufen, ist nicht tolerierbar.»
Zurückhaltender äussert sich Pierens Nationalratskollegin Andrea Geissbühler. Auch sie zeigt sich zwar erstaunt ob den Äusserungen Luceks: «Ich frage mich, was seine Motivation dabei ist. Die Sache nützt am Ende des Tages seiner Gegenkandidatin und ganz sicher nicht ihm.» Aber: Sie will nicht, dass wegen des Vorfalls eine generelle Debatte über die ungerechte Behandlung von Frauen in der SVP ausgelöst wird: «Ich habe in der SVP nie schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht.»
Die ehemalige SVP-Nationalrätin Ursula Haller sieht das anders. «Vordergründig ist man zwar stolz auf die SVP-Frauen. Aber sobald sie Männern gefährlich werden, ist jedes Mittel recht, um sie zu verhindern.»
Politologe spricht von grundsätzlichem Problem
Auch der Politologe Michael Hermann sagt, dass die SVP noch immer ein Männer-Club sei. Luceks Äusserungen kommen für ihn deshalb nicht überraschend: «Auf subtile Art findet man Vorurteile und Vorstellungen zu Frauen überall in der Politik. Aber Linke sind wegen der hohen Frauenbeteiligungen in ihren Reihen sensibilisierter auf das Thema.»
Linke sind wegen der hohen Frauenbeteiligungen in ihren Reihen sensibilisierter auf das Thema.
Hermann beobachtet, dass Frauen im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen noch immer auf die Geschlechterfrage reduziert werden: «Macht ein Mann einen Fehler, ist das in der öffentlichen Wahrnehmung kein Männerproblem. Bei Frauen schon.»
Hermann gibt sich aber zuversichtlich, dass Äusserungen wie jene Luceks heutzutage keinen breiten Zuspruch mehr finden: «Man sieht, dass die Sensibilität der Öffentlichkeit für die Frauenfrage grösser geworden ist.» Das läge primär daran, dass die Frauen sich inzwischen entschieden gegen persönliche Angriffe wehrten.