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Nach Kritik Gefängnis Thun stoppt Ausschaffungshaft für Kinder

Im Gefängnis Thun gibt es vorerst keine Ausschaffungshaft mehr für Frauen mit Kindern unter 15 Jahren.

In der Gefängniszelle steht ein Kinderbett. Das wurde separat hineingestellt, «dazu Spielsachen, ein Spielteppich und so weiter», erklärt Ulrich Kräuchi, Direktor des Regionalgefängnisses Thun. «10vor10» zeigt erstmals, wie die Unterbringung von Kindern unter 15 Jahren in Administrativhaft ausgesehen hat.

So konnten in Thun für den Kanton Bern oder auch für andere Kantone Mütter, die ausgeschafft werden sollten, zusammen mit ihrem Kind untergebracht werden. Fünf Mal kam das bisher vor. Doch damit ist nun Schluss.

Gefängnisdirektor stoppt das Projekt

Die Ausschaffungshaft für Kinder unter 15 Jahren sei ein klarer Verstoss gegen die Kinderrechtskonvention, kritisierte vor rund drei Wochen die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Nationalrats. Das Projekt abgebrochen hat aber nicht der Kanton Bern, sondern der Thuner Gefängnisdirektor Ulrich Kräuchi selbst: «Mache ich denn jetzt etwas Illegales hier in Thun?», habe er sich fragen müssen.

Er sei nach den Medienberichten zum Bericht der GPK sofort hellhörig geworden. Dann habe er das Projekt gestoppt, bis die rechtliche Situation geklärt ist. «Ich habe die Amtsleitung informiert, dass ich insofern nicht mehr bereit bin, die Mütter-Kinder-Zimmer weiter anzubieten. Das gehört jetzt einfach nicht mehr zu unserem Aufgabenbereich», sagt Kräuchi.

Trotz der Kritik der GPK: Die Weigerung des Gefängnisdirektors hat die kantonalen Behörden offenbar kalt erwischt. Auf Anfrage von «10vor10» teilt das Amt für Personenstand und Migration des Kantons Bern schriftlich mit: «Der künftige Umgang mit unter 15-Jährigen im Familienverbund wird unter Einbezug aller involvierten Stellen geklärt, weswegen wir Ihnen zum heutigen Zeitpunkt dazu noch keine Informationen geben können.»

Umstrittenes Angebot für Kantone

Das Regionalgefängnis Thun hatte die Mutter-Kind-Zelle als Angebot für die Kantone aufgebaut. «In verschiedenen Kantonen gab es einen gewissen Leidensdruck», sagt Gefängnisdirektor Kräuchi. «Wenn schwierige Ausschaffungen anstanden, die auch Mütter mit Kindern betreffen, hat man gemerkt, dass man etwas hilflos ist, weil niemand einen Platz für sie hatte.»

Kräuchi habe das Gefühl gehabt, eine akzeptierbare Lösung gefunden zu haben: «Eine Trennung von Mutter und Kind wäre ja sicher nicht gut gewesen», so Kräuchi. Es seien wohl alle, auch beim Kanton, «etwas erschrocken» über die heftige Kritik. Anzeichen, dass die Haftsituation in Thun für die Kinder belastend sei, habe es für ihn keine gegeben. «Für die Mutter, der die Ausschaffung bevorsteht, ist das natürlich anders», räumt Kräuchi ein.

Kinder im Gefängnis

Trotzdem bewegen sich die Kantone mit der Administrativhaft für Kinder unter 15 Jahren in einem rechtlichen Graubereich, sagt Alberto Achermann. Er ist Präsident der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter und Professor für Migrationsrecht. Die Kantone seien in einem Dilemma.

Kinder unter 15 Jahren dürften von Gesetzes wegen nicht in Administrativhaft genommen werden. «Es gibt aber Situatoinen, in denen Kantone eine ganze Familie festnehmen müssen, bis ein Ausschaffungsflug nach ein paar Tagen möglich wird. Da besteht eine rechliche Unklarheit, was für eine Art Haft hier angewendet und wie sie durchgesetzt werden soll», erklärt Achermann.

Zelle für Kinder ungeeignet

Für Achermann ist klar, dass auch während der kurzen Zeit vor einer Ausschaffung eine Gefängniszelle nicht das richtige Umfeld für ein Kind sei. Er schlägt stattdessen vor, zum Beispiel in Bundesasylzentren ein ganzes Stockwerk für Familien vorzusehen. Dieses müsse genug gesichert sein, damit eine Familie für eine Zwangsrückführungen aufgenommen werden könne. «Andere Länder haben dafür eigentliche Familieneinrichtungen, etwa Belgien oder auch Österreich, die eben kein Gefängnis sind.»

Im Kanton Bern will man vorerst abwarten. Die Fälle seien «bekanntlich äusserst selten und als letztes Mittel des Vollzugs gedacht», schreibt die Polizei- und Militärdirektion auf Anfrage. Man gehe deshalb davon aus, das bis zum nächsten konkreten Fall die Sachlage geklärt sein werde.

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