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Nach Russland-Reise geächtet «Das war wie eine Hexenverfolgung»

Über 20 Jahre nach ihrem Tod soll die Baselbieter Regierung die Mundart-Dichterin Helen Bossert rehabilitieren.

Die Baselbieter Mundart-Dichterin Helen Bossert (1907 - 1999) hatte eine steile Karriere als Lyrikerin hingelegt, bevor sie 1953 beschloss, nach Russland zu reisen. Die Reise unternahm sie mit der «Basler Frauenvereinigung für Frieden und Fortschritt», einer Organisation, die damals vom Staatsschutz kontrolliert wurde.

Man würde das heute als Hexenverfolgung bezeichnen
Autor: Rea Köppel Historikerin

Diese Reise hatte gravierende Folgen: «Es folgte ein Bruch in ihrem Leben. Man würde das, was anschliessend folgte, heute als Hexenverfolgung bezeichnen», sagt Historikerin Rea Köppel, die sich eingehend mit dem Leben von Bossert auseinandergesetzt und vor kurzem im Baselbieter Heimatbuch eine Biografie publiziert hat.

Denn in Zeiten des Kalten Kriegs galt eine solche Reise in die damalige Sowjetunion als eine Art Landesverrat. Es folgten denn auch Ermittlungen der Behörden wegen Verdachts auf «landesverräterische Aktivitäten». Bossert wurde bespitzelt und sie verlor ihre Stelle beim Radio, später wurde auch ihrem Mann gekündigt. Die ganze Familie wurde geächtet.

Wiedergutmachung – aber wie?

«Ich war traurig, als ich diese Geschichte gelesen habe», sagt SP-Landrat Linard Candreia. Es sei unvorstellbar, was dieser Frau in den 1950er Jahren widerfahren ist, auch Candreia spricht von einer Hexenjagd. In einem politischen Vorstoss, den Candreia vor kurzem im Baselbieter Parlament eingereicht hat, verlangt er, dass sich die Baselbieter Regierung eingehend mit der Frage einer Wiedergutmachung auseinandersetzen muss.

Was aber wäre die richtige Form einer Wiedergutmachung? Dies lässt Candreia offen. Er könnte sich vorstellen, dass ein Gedicht an einer Wand im Regierungsgebäude in Liestal platziert wird, eine Strasse in ihrem ehemaligen Wohnort Sissach nach ihr benannt wird oder eine Unterrichts-Broschüre über ihr Leben erscheint.

Bossert im Garten
Legende: Helen Bossert in ihrem Garten in Sissach BL. zvg Familie Fausch-Bossert

Auch für den Sohn von Helen Bossert wäre ein solcher Akt ein wichtiges Zeichen. Ueli Fausch ist heute 70 Jahre alt und lebt in der Nähe von Genf. Dass nun im Baselbiet über das Leben und Wirken seiner Mutter diskutiert wird und eine Wiedergutmachung im Raum steht, freue ihn, sagt der Sohn am Telefon. «Es ist Balsam auf meine Seele.»

Historikerin Köppel weiss, wie es der Familie Bossert nach der Russland-Reise ergangen ist: «Das war ein familiäres Drama. Der Sohn hat noch heute grosse Mühe, sich an die Zeit zu erinnern, weil sie mit sehr vielen Emotionen verbunden ist.»

Wir haben heute die nötige Distanz zum Kalten Krieg. Nun ist der richtige Moment gekommen.
Autor: Linard Candreia Landrat BL (SP)

Ob und in welcher Form die Baselbieter Regierung und das Parlament einer politischen Rehabilitierung zustimmen, ist offen. Die gleiche Forderung gab es denn auch bereits vor über 20 Jahren kurz nach dem Tod Bosserts. Damals wollte die Politik im Baselbiet nichts davon wissen. Immerhin erhielt sie zuvor, im Jahr 1988, den Baselbieter Kulturpreis. Candreia ist überzeugt, dass sein Vorstoss heute Erfolg haben könnte. «Wir haben die nötige Distanz zum Kalten Krieg. Nun ist der richtige Moment gekommen.»

Regionaljournal Basel 15.12.2021 17:30 Uhr ; 

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