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Nach Schwangerschaftsabbruch Swica bittet Schwangere mit todkrankem Ungeborenen zur Kasse

  • Seit 2014 gilt im Krankenversicherungsgesetz bei Schwangerschaft: Keine Kostenbeteiligung auch bei Krankheit und ihren Folgen ab der 13. Schwangerschaftswoche.
  • Dies gilt laut Bundesamt für Gesundheit auch bei Schwangerschaftsabbrüchen infolge schwerer Schädigung des Kindes.
  • Die Krankenkasse Swica ignoriert dies und verlangt in einem Fall von Trisomie 18 eine hohe Kostenbeteiligung.

Am Anfang schien alles gut. Simone S. und ihr Partner freuten sich auf ihr zweites Kind. Doch bei der Dreimonatskontrolle sah plötzlich alles anders aus. Simone S., mit dem Ultraschallbild in der Hand, erinnert sich: «Der Gynäkologe sah bei der Untersuchung, dass sich viel Wasser im Kind gebildet hat.» Weil das ein Hinweis für die schwere Entwicklungsstörung Trisomie 18 sein kann, schickte der Gynäkologe Simone S. ins Inselspital in Bern. Nach der Biopsie erhärtete sich der Verdacht auf Trisomie 18.

Trisomie 18: Geringe Überlebenschance

Anita Rauch, Professorin für medizinische Genetik an der Universität Zürich, kennt die geringen Überlebenschancen eines Kindes bei Trisomie 18. Die Kinder sind körperlich und geistig schwer geschädigt und werden kaum älter als ein paar Wochen. Für Simone S. Kind fällt die Prognose der Genetikerin noch schlechter aus: «Wenn wie hier das Baby schon in der Frühschwangerschaft ganz aufgedunsen ist, muss man eigentlich davon ausgehen, dass es im Mutterleib verstirbt», sagt Rauch in der Sendung «Kassensturz». Tag für Tag auf den Tod des Kindes im Mutterleib warten zu müssen, sei für die Schwangere eine riesige Belastung.

Was ist Trisomie 18?

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Trisomie 18, auch Edwards-Syndrom genannt, wird durch eine genetische Störung verursacht. Das Chromosom 18 ist im Erbgut dreifach statt nur doppelt vorhanden. 80 Prozent der Kinder versterben im Mutterleib. Die wenigen Kinder, die überhaupt geboren werden, sind in der Regel geistig und körperlich schwer behindert. Nur eines von zwölf lebend geborenen Kindern wird älter als ein Jahr. Die anderen sterben vorher. Die Krankheit tritt bei einer von 6500 Geburten auf. Trisomie 18 kann in der Schwangerschaft durch eine Chorionzottenbiopsie oder eine Fruchtwasseruntersuchung sicher diagnostiziert werden. Auch mit den neuen Bluttests kann eine Trisomie 18 mit hoher aber nicht absoluter Sicherheit erkannt werden.

Simone S. fasste deshalb den schweren Entschluss und brach die Schwangerschaft in der 14. Woche ab. «Wenn ich länger gewartet hätte, hätte ich die Geburt einleiten müssen. Das wollte ich nicht auch noch», erklärt sie ihren Entscheid. Es brauchte Monate, bis sie den Verlust ihres Kindes verarbeitet hatte.

Swica verlangt hohe Kostenbeteiligung

Doch nicht genug: Die Krankenkasse schickte Simone S. für den Schwangerschaftsabbruch eine hohe Rechnung: Aufgrund der Franchise verlangte die Swica eine Kostenbeteiligung von 1700 Franken. Ihre lapidare Begründung: Der Abbruch sei freiwillig gewesen. Ein Affront für Simone S.: «Das kann man doch nicht gleich behandeln, wie wenn ich das Kind nicht gewollt hätte.»

Bundesamt widerspricht Krankenkasse

Gregor Lüthy vom Bundesamt für Gesundheit kritisiert die Krankenkasse Swica. Nach einem Gesetzesartikel von 2014 im Krankenversicherungsgesetz dürften Kassen ab der 13. Schwangerschaftswoche auch bei Schwangerschaftsabbrüchen wegen schwerer Schädigung des Kindes keine Kostenbeteiligung verlangen. Gegenüber «Kassensturz» sagt Lüthy, der Abbruch bei Simone S. falle eindeutig unter diesen Artikel: «Deshalb müsste die Kostenbeteiligung erlassen werden.»

Schwangere im Krankenversicherungsgesetz:

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Seit 2014 sind im Krankenversicherungsgesetz alle Schwangeren «ab der 13. Schwangerschaftswoche» gleichgestellt. Nach Artikel 64, Absatz 7, dürfen Krankenkassen bei allgemeinen Leistungen «keine Kostenbeteiligung» verlangen. Das gilt nicht nur für Schwangere mit einer Bilderbuchschwangerschaft, sondern auch «bei Krankheit und ihren Folgen».

Das Bundesamt für Gesundheit stellte fest, dass die Krankenkassen den neuen Artikel 64, Absatz 7, verschieden auslegen. Im März 2018 hat das Amt deshalb den Krankenkassen geschrieben, dass darunter auch die Leistungen im Zusammenhang mit Geburtsgebrechen, Unfällen und dem straflosen Abbruch der Schwangerschaft gehörten. Das heisst, dass auch für diese Leistungen nach der 13. Schwangerschaftswoche keine Kostenbeteiligung verlangt werden dürfe.

Auch aufgrund des vorliegenden Falls im «Kassensturz» hat das Bundesamt für Gesundheit nun beschlossen, dem Parlament bis Ende 2019 einen präzisierten Gesetzesvorschlag zu unterbreiten.

Swica beharrt auf eigener Rechtsauslegung

Diese Gesetzesauslegung interessiert die Krankenkasse Swica jedoch nicht. Die Patientin werde bei der Swica nur von allen Kosten befreit, wenn das Kind im Bauch sterbe, so Silvia Schnidrig von Swica: «Wenn sie sich aber frei für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet, muss sie die Kostenbeteiligung bezahlen.»

Für Simone S. ist die Haltung von Swica absurd: «Nur weil wir den für uns weniger belastenden Weg gewählt haben, müssen wir jetzt die Kosten selbst tragen.»

Das sagen Krankenkassenverbände dazu

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Alle Mitglieder des Krankenkassenverbandes Curafutura sind derselben Ansicht wie das Bundesamt für Gesundheit und erheben bei einem solchen Schwangerschaftsabbruch weder Franchise noch Selbstbehalt.

Der Krankenkassenverband Santésuisse – bei dem Swica Mitglied ist – teilt die Gesetzesauslegung des Bundesamt für Gesundheit nicht. Santésuisse schreibt «Kassensturz»:

«Beim Schwangerschaftsabbruch ist eine Kostenbeteiligung durch die Versicherten vorgesehen, auch nach der 13. Schwangerschaftswoche. Da lässt das Gesetz keine Interpretation zu. Das bestätigen verschiedene Quellen der Rechtsliteratur, dies hat Santésuisse dem Bundesamt für Gesundheit mitgeteilt. Um Schwangerschaftsabbrüche von der Kostenbeteiligung zu befreien, braucht es eine Gesetzesänderung, die genau aus diesem Grund aktuell angestrebt wird.»

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