Ein in sich geschlossenes System mit gravierenden Mängeln in der Führungskultur: Dieses Fazit zieht die Anwaltskanzlei Rudin Cantieni in ihrem Abschlussbericht zur Stadtpolizei Winterthur. Den externen Bericht hatte der Winterthurer Stadtrat im letzten Februar in Auftrag gegeben, nachdem sich innert weniger Monate gleich zwei Stadtpolizisten das Leben genommen hatten.
Die Untersuchenden sprechen in ihrem Bericht von einem System blinden Gehorsams. Die Stadtpolizei Winterthur sei streng hierarchisch organisiert. Kritik an Vorgesetzten und an der Gesamtorganisation seien nicht erwünscht, Anweisungen ohne Widerworte zu befolgen. Aus dieser Dynamik heraus habe sich eine Polizeikultur entwickelt, die sich von der übrigen Stadtverwaltung abhebe, und ein Selbstverständnis, mit dem städtische Prozesse im Personalbereich umgangen würden.
Dies zeige sich etwa darin, dass bei der Besetzung von Kaderstellen innerhalb der Stadtpolizei vornehmlich auf polizeiliche Ränge und die Einhaltung der Hierarchie geachtet wurde. Führungskompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, Flexibilität, Empathie oder Problemlösungskompetenz hätten keine Priorität genossen. Der Bericht kommt zum Schluss, dass diese Art der Führung inadäquat sei, es brauche dringend einen Kulturwandel bei der Stadtpolizei.
Neue Führung soll den Wandel einläuten
Für den Winterhurer Stadtrat hat ein neues Führungsverständnis deshalb hohe Priorität. Eine hierarchische Führung bei polizeilichen Einsätzen mache durchaus Sinn, bei der Personalführung im Alltag brauche es aber Änderungen. Die Winterthurer Polizeivorsteherin Katrin Cometta (GLP) will diesen im Bericht vorgeschlagenen Kulturwandel mit dem neuen Kommandanten, der am 1. Februar 2023 startet, prioritär angehen. Ziel sei es, dass künftig bei der Stadtpolizei Verantwortung delegiert und Kritik angehört werde.
Inwieweit die gravierenden Führungsmängel zu den Suiziden der beiden Quartierpolizisten beigetragen haben, wurde im Bericht nicht beurteilt. Personalrechtliche oder strafrechtlichen Verfehlungen habe es nicht gegeben. Erwähnt wurde aber, dass das rigide Führungsverständnis auf die Quartierpolizei ausgedehnt werden sollte, dort hatten Mitarbeitenden bislang relativ grosse Freiheiten. Zudem seien die Polizisten bei einer Neuzuteilung der Quartiere nicht ernst genommen worden. Es wurde versucht, ihre Anliegen mit formeller Macht zu unterdrücken.
Zwei Suizide innert sieben Monaten
Die Suizide der beiden Männer ereigneten sich nur wenige Jahre vor ihrer Pensionierung. Ein Polizist machte sich im Juli des letzten Jahres auf zu einer Wander-Tour in die Berge und wurde eine Woche später tot aufgefunden. Der andere Beamte nahm sich knapp sieben Monate später auf dem Polizeiposten in Winterthur das Leben. Aus ihren Abschiedsbriefen wurde deutlich: Führungsversagen bei der Winterthurer Stadtpolizei könnte dafür mit ausschlaggebend gewesen sein.
Unter die Trauer über die beiden Vorfälle mischte sich auch Ärger und Wut. In einem Schreiben hielt sich der Polizeibeamtenverband Winterthur Anfang Jahr nicht mit Kritik zurück und übergab Polizeivorsteherin Cometta einen Forderungskatalog. Darin hiess es: «Viele Kolleginnen und Kollegen sehen die Schuld in der Führungskultur und im Verhalten einzelner Personen.» Die Stadt Winterthur will diese Führungskultur nun in den nächsten Monaten ändern.