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Nachfrage nach Zweitwohnungen Wie die Bergregionen vom Coronavirus profitieren

Viele Arbeitsplätze sind während der Pandemie nach Hause verlegt worden. Auch in Zweitwohnungen wird mehr gearbeitet.

Ausgerechnet die Coronakrise könnte den Problemen der Schweizer Bergregionen etwas entgegenwirken. Abwanderung, Überalterung und auch die wirtschaftliche Entwicklung gehören zu den Herausforderungen vieler abgelegener Berggemeinden. Nun haben viele Menschen die Berge neu als Wohn- und Arbeitsplatz entdeckt.

So zumindest lassen sich die Zahlen von Bündner Immobilienhändlern interpretieren. Die Nachfrage nach Zweitwohnungen sei im Juni stark gestiegen, sagt Sandro Hofmann, Geschäftsführer des Immobilien- und Architekturbüros Hofmann und Durisch in Flims: «Wir konnten praktisch alle Wohnungen verkaufen, welche wir in unserem Portfolio hatten.»

Home-Office in der Ferienwohnung

Im Oberengadin habe man eine grössere Nachfrage nach Erst- und Zweitwohnungen schon während des Lockdowns im Frühjahr festgestellt, sagt Immobilien- und Bauunternehmer Markus Testa aus St. Moritz. Auffallend sei auch, dass einheimische Interessenten bei der Wohnungssuche neue Schwerpunkte setzen. So bestehe der Wunsch nach mehr Platz, um für die Arbeit im Home-Office gerüstet zu sein.

Pandemie ist nicht der einzige Grund

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Bereits Ende Juli teilte die Immobilienberatungsfirma Wüest Partner mit, dass die Nachfrage nach Zweitwohnungen in touristischen Gebieten zunehmen dürfte. Vorausgesetzt, dass sich das Home-Office-Modell in der Dienstleistungsbranche stärker etablieren und sich dadurch die Flexibilität der Beschäftigten in Bezug auf ihren Aufenthaltsort erhöhen sollte.

Die Arbeitssituation rund um die Pandemie sei jedoch nicht der einzige Grund, weshalb Zweitwohnungen derzeit begehrt seien, sagt Robert Weinert von Wüest Partner auf Anfrage: «Auch die nach wie vor attraktiven Finanzierungsbedingungen tragen dazu bei. Und auch, dass die Einkommen in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind.» Zudem greife inzwischen die Zweitwohnungsinitiative, so Weinert. Dies führe dazu, dass das Angebot an Zweitwohnungen kleiner werde.

Peder Plaz, Leiter des Bündner Wirtschaftsforums, vermutet denn auch, dass während des Sommers in Bündner Zweitwohnungen vermehrt gearbeitet wurde. «Die Nutzung der Zweitwohnungen in Berggebieten war sehr, sehr stark», so Plaz.

Zwar gebe es keine Zahlen, Einzelbeobachtungen und Rückmeldungen aus dem Detailhandel liessen jedoch Schätzungen zu, dass die Nutzung der Zweitwohnungen um rund 30 Prozent gestiegen ist, sagt Peder Plaz.

Zeichen der Zeit erkannt

Durch die aktuellen Entwicklungen fühlen sich die Verantwortlichen in der Engadiner Gemeinde La Punt bestätigt. Dort wird ein Innovationszentrum geplant, welches in der Region Arbeitsplätze schaffen und zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen soll.

Arbeitnehmenende aus aller Welt sollen temporär in der Region leben und arbeiten – dezentral und via Glasfaserinternet verbunden mit dem Arbeitgeber. Schon vor der Pandemie habe man gewusst, dass das Projekt zukunftsfähig sei, sagt der Gemeindeschreiber von La Punt, Urs Niederegger: «Nun sieht man, dass es noch wichtiger wird.»

«Einen Boom erwarte ich nicht»

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Peder Plaz ist Unternehmensberater und Geschäftsführer beim Wirtschaftsforum Graubünden. Für den wirtschaftspolitisch ausgerichteten Thinktank erarbeitet er in regelmässigen Abständen Berichte und mögliche Visionen für die Zukunft des Kantons Graubünden.

SRF News: Können Bergregionen von den aktuellen Entwicklungen profitieren?

Peder Plaz: Die Nutzung der Zweitwohnungen in Berggebieten war während des Sommers sehr, sehr stark. Die Leute haben dort vermehrt ihre Ferien verbracht aber auch gearbeitet. Die Frage ist aber, ob die Zweitwohnungen durch das Home-Office auch in Zukunft vermehrt genutzt werden oder ob einzelne Leute sogar bereit sind, ihren Wohnsitz zu verlegen.

Erwarten Sie, dass künftig mehr Menschen in den Bergregionen arbeiten?

Einen Boom erwarte ich nicht. Längerfristig kann ich mir aber vorstellen, dass mehr Menschen von den Bergen aus arbeiten werden. Zum einen, weil künftig solche Möglichkeiten bestehen werden und zum anderen, weil die gesellschaftlichen Strukturen mehr Freiheiten zulassen - um mehr Zeit in den Bergen zu verbringen.

In einer Studie hat das Wirtschaftsforum Graubünden 2018 festgehalten, dass es bessere Verkehrsanbindungen brauche, damit mehr Leute in den Kanton kommen. Ist diese Forderung mit dem Modell «Home-Office» überholt?

Eine Zukunft der Berggebiete könnte das sogenannte «Teilzeitwohnen» sein. Auch wenn künftig mehr Leute ihr Home-Office in die Ferienwohnung verlegen oder dort vermehrt wohnen, glauben wir, dass es eine Mischung aus naturnahem Wohnen und tageweisem Arbeiten in der Stadt sein wird. Eine gute Verkehrsanbindung bleibt also wichtig, auch wenn nicht täglich gependelt wird.

Das Gespräch führte Stefanie Hablützel.

Regionaljournal Graubünden, 10.11.2020, 17:30 Uhr ; 

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