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Nahrungsmittel-Spekulation «Arena»: Ist die Nahrungsmittelspekulation Fluch oder Segen?

Ein Verbot der Spekulation mit Agrar-Rohstoffen, die die Preise künstlich in die Höhe treibt und Hunger zur Folge hat: Das will die Initiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln». Doch schadet die Praxis den Ärmsten tatsächlich? Und welche Folgen hätte eine Annahme der Initiative?

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Experten:

Heiner Flassbeck , Ökonom

Martin Fasser , Präsident Vereinigung der Rohstoffhändler Zug

Mit der Initiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln» wollen die Jungsozialisten (Juso) erreichen, dass künftig mit Agrar-Rohstoffen nicht mehr so spekuliert werden darf, dass dabei die Preise künstlich in die Höhe getrieben werden. Sie will damit den Hunger in der Welt bekämpfen. «Mit der Abstimmung kann man auf einen Schlag verhindern, dass Preissteigerungen und Blasen entstehen, unter denen die Ärmsten leiden», sagt Juso-Präsident Fabian Molina.

Doch schadet die Spekulation den Ärmsten auf der Welt tatsächlich oder liegen dem Hunger ganz andere Ursachen zugrunde? Und welche Auswirkungen hätte die Annahme der Initiative auf den Wirtschaftsstandort Schweiz?

Wie Studien die Situation einschätzen

Für Bundespräsident Johann Schneider-Ammann ist klar: «Die Spekulation mit Nahrungsmitteln ist nicht der Grund für Armut und Hunger.» Vielmehr seien Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln wie Weizen von Kälte- oder Hochwasserperioden abhängig, die das Angebot verknappten. Hinzu kämen politische Entscheide: Wenn ein Land beispielsweise einen Exportstopp verhängt. Dies bestätigten wissenschaftliche Studien, von denen der Bundesrat über 100 zu Rate gezogen habe.

Dem widerspricht Caroline Morel, Geschäftsleiterin von Swissaid: Zwar seien Wetterkapriolen ein wichtiger Aspekt der Hungerproblematik. Doch habe die Nahrungsmittelkrise von 2007 und 2008 gezeigt, dass die Spekulation einen grossen Einfluss habe. Damals seien die Preise innerhalb kürzester Zeit so gestiegen, dass eine Milliarde Menschen weltweit hungern mussten (siehe Video: «Wann Spekulation schadet»). «Studien der ETH, der Uno und der Weltbank ergaben, dass 60 bis 70 Prozent der Preissteigerungen auf schädliche Spekulation zurückzuführen war», so Morel.

Spekulation als Versicherung

Bundespräsident Schneider-Ammann rechnet vor, dass die Einführung der Nahrungsmittelspekulation Ende der 1970er-Jahre zu mehr Handel sowie tieferen und stabileren Preisen geführt habe. Auch CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt ist sich sicher: «Die Spekulation schafft grundsätzlich Preisstabilität.» Die Investoren würden den Produzenten, wie beispielsweise dem Kaffeebauer, Risiken abnehmen, indem sie ihm Preise für Produkte garantierten. Eine Art Versicherung (siehe Video: «Wo Spekulation nützt»). Würde dies verunmöglicht, «verursacht das Hunger».

Ökonom Heiner Flassbeck sagt, es gebe zwei Arten der Spekulation. Gegen jene, die die Produzenten absichert, sei nichts einzuwenden. Allerdings seien während der Nahrungsmittelkrisen Hunderte Millarden in die Rohstoff-Märkte geflossen «und alle wetteten auf höhere Preise». Damit seien diese zusätzlich in die Höhe getrieben worden. Zwar habe sich der Markt seither wieder ausgeglichen. «Dafür mussten aber Menschen sterben.» Juso-Präsident Molina erinnert daran, dass sowohl in den USA als auch in der EU Bemühungen im Gang seien, die Nahrungsmittelspekulation einzuschränken: «Wir wollen nicht die Spekulation als Versicherung für die Produzenten, sondern nur die reine, schädliche Spekulation verbieten.»

Wandern Jobs ab?

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Bundespräsident Schneider-Ammann warnt dennoch vor einer Annahme der Initiative. Zwar gebe es Bemühungen in anderen Ländern, die Nahrungsmittelspekulation einzuschränken. Diese seien aber allesamt noch nicht umgesetzt. Ein Alleingang sei falsch: «Er führt zu mehr Bürokratie für die Händler und benachteiligt unseren Wirtschaftsstandort gegenüber anderen.» Die Folge sei eine Abwanderung von Jobs.

Dieser Aspekt ist für Juso-Präsident Molina vernachlässigbar: Grossbanken hätten nach eigenen Angaben nur sehr wenige Mitarbeiter, die mit Nahrungsmittelspekulation beschäftigt seien. Hochgerechnet auf die ganze Schweiz, gingen vielleicht einige Hundert Stellen verloren. «Wenn ich vor der Wahl stehe, ob ich mich für Spekulanten oder Hungernde einsetze, so wähle ich die Hungernden.»

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