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Nationalismus im Sport Was macht der Fussball mit den Fans?

Ob Schweizer Fans, Spanier, Italiener oder Belgier – die eigene Mannschaft wird zum Stolz einer ganzen Nation. Ab und zu fallen aber auch abwertende Worte über den Gegner auf dem Spielfeld. Deutsche werden dann etwa als «Gummihälse» bezeichnet, Italiener als «Spaghetti-Truppe». Der Sozialpsychologe Ulrich Wagner hat die nationalistische Dynamik im Sport untersucht.

Ulrich Wagner

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Ulrich Wagner ist Professor für Sozialpsychologie an der Philipps-Universität Marburg. Zu seinen Forschungsinteressen gehören Intergruppenkonflikte, Aggression und Gewalt sowie Präventionsmassnahmen.

SRF News: Gehören abfällige Äusserungen über die gegnerische Mannschaft einfach dazu?

Ulrich Wagner: Der Nationalismus beginnt dann, wenn der freudige Wettstreit mit den Fans der gegnerischen Mannschaft wie lauter singen und besser unterstützen in die Ablehnung der anderen Nation und deren Mannschaft umschlägt. Gerade bei grossen Meisterschaften EM und WM ist die Gefahr gross, dass sich Menschen nationalistisch mit dem eigenen Land identifizieren.

Können Meisterschaften wie EM und WM den Nationalismus fördern?

Die erwähnten Effekte sind unerfreulich. Solche grossen Meisterschaften deswegen abzulehnen, wäre aber falsch. Es braucht sie und wir haben alle unsere Freude daran, dass sie stattfinden und wir exzellenten Sport sehen. Eine Möglichkeit wäre, Mannschaft und Land nicht mehr so stark auf eine Ebene zu stellen. Dann würde beispielsweise nicht «die Schweiz» gewinnen, sondern die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft. Es wäre eine Trennung zwischen der nationalen Anbindung und der Freude am Spiel der Nati.

Wenn Menschen mit der deutschen Flagge konfrontiert werden, löst das nationalistische Gefühle aus – mit den entsprechenden negativen Konsequenzen.

Wie stark fördern Symbole den Nationalismus?

Flaggen spielen eine Rolle. Die Forschung zeigt zumindest für Deutschland: Wenn Menschen mit der deutschen Flagge konfrontiert werden, löst das nationalistische Gefühle aus – mit den entsprechenden negativen Konsequenzen. So ist das auch bei Sportveranstaltungen. Aber auch das Abspielen der Nationalhymne kann den negativen Seiteneffekt haben, dass nationalistische Gefühle gestärkt werden. Deshalb plädiere ich dafür, nationale Symbole etwas in den Hintergrund zu rücken und den Sport etwas mehr in den Vordergrund.

Schweizer Fans, Symbolbild.
Legende: Nicht die Schweiz gewinnt, sondern die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft. Keystone

Haben internationale Sportanlässe aber nicht auch den positiven Einfluss, dass sie das Interesse an anderen Ländern und Kulturen wecken?

Ja, unter normalen Umständen können sich Menschen auch begegnen – inner- und ausserhalb des Stadions. Es gibt viele positive Beispiele, dass internationale Meisterschaften Kontakte fördern und zum Abbau von Vorurteilen beitragen. In Corona-Zeiten ist das wegen der Abstandregeln und Beschränkung in Stadien und beim Public Viewing sehr reduziert. Ausblenden darf man die negativen Gesichtspunkte solcher Grossveranstaltungen trotzdem nicht.

Die Summe der Einzelnen, die sich ein bisschen in eine nationalistische Richtung entwickeln, kann schon problematisch werden.

Wie stark ist der gestiegene Nationalismus nach einer EM noch spürbar?

Dieser Effekt ist statistisch nachweisbar. Das zeigen grosse Stichproben. Der Effekt ist natürlich nicht so stark, dass sich ein Land durch eine solche Meisterschaft völlig verändern würde. Trotzdem sollten solche Effekte, die mit dem an sich positiven Ereignis zusammenhängen, nicht ganz aus dem Blick verloren werden.

Wie schlimm ist es, wenn jemand während der EM, also temporär, nationalistische Züge annimmt?

Man hat es bei solchen Grossereignissen mit Bewegungen zu tun. Die Summe der Einzelnen, die sich ein bisschen in eine nationalistische Richtung entwickeln, kann schon problematisch werden. In vollen Stadien spielen auch gruppendynamische Prozesse eine Rolle. Das zeigte etwa das Spiel England-Deutschland, als englische Fans bei der deutschen Nationalhymne buhten. Das löst Konfrontationen aus und sollte möglichst vermieden werden.

Das Gespräch führte Zoe Geissler.

SRF 4 News, 02.07.06:45 Uhr ; 

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