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Serie: «Unser neues Leben mit Corona» 4: Ebbt «grüne Welle» ab?
Aus Trend vom 24.07.2020. Bild: SRF. Klaus Ammann
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Neue Verhaltensweisen Die Pandemie als Chance fürs Klima

Die Coronakrise hat weltweit zu Rückgängen beim Treibhausgasausstoss geführt. Doch was wird davon bleiben?

Fällt auf dem Chuenisbergli oberhalb Adelboden in 30 Jahren noch genügend Schnee, damit Weltcup-Skirennen durchgeführt werden können? Solche Fragen versucht Reto Knutti als Klimaforscher an der ETH Zürich zu beantworten. Immer bessere Klimamodelle mit immer genaueren Daten helfen ihm dabei.

Reto Knutti forscht aber nicht einfach in seinem Büro in der Stadt Zürich, er kommuniziert die Resultate seiner Forschung auch. Er ist einer von wenigen Klimawissenschaftlern, die sich aktiv in die politische Diskussion einbringen. «Diese Einordnung von Zahlen und von den Fakten, die muss die Wissenschaft geben.» Ob die Leute das hören wollten oder nicht, sei eine andere Frage. «Aber ich glaube, wir müssen das kommunizieren, damit die Leute auch sehen, wie sie darauf reagieren können.»

Zwei Männer stehen neben einem sogenannten Sonnelicht-Receiver
Legende: ETH-Forscher Reto Knutti (links) und Synhelion-Chef Gianluca Ambrosetti mit dem sogenannten Sonnenlicht-Receiver. SRF

Wir treffen Reto Knutti in einer Industriehalle in Horgen (ZH). Mitten im Raum steht ein sogenannter Receiver, ein Sonnenlichtempfänger der Firma Synhelion – einem Spin-off der ETH Zürich. Wie eine kleine Dampflokomotive sieht das Gerät aus, dass Energie gewinnt, indem es Sonnenlicht bündelt: Synhelion hat ein Verfahren entwickelt, mit dem aus dieser Sonnenenergie und CO2 aus der Luft CO2-neutraler Treibstoff hergestellt werden kann.

Wir können nicht die Leute zu Hause lassen und die Wirtschaft zu Boden bringen, um das Klima zu retten.
Autor: Reto Knutti Klimaforscher ETH

Solche Technologien hält Klimaforscher Knutti für vielversprechend. Gleichzeitig warnt er, man dürfe nicht naiv sein und «glauben, dass die Technologie uns einfach auf magische Weise rettet und wir nichts dafür tun müssen.» Neben technischen Lösungen zur Reduktion des Treibhausgas-Ausstosses seien strukturelle Veränderungen und Verhaltensänderungen unumgänglich.

Treibhausgasausstoss müsste langfristig sinken

Die aktuelle Krise zwingt uns zu Verhaltensänderungen. So wird derzeit deutlich weniger geflogen. Weil die wirtschaftlichen Perspektiven unsicher sind, sind die Konsumenten zurückhaltend. Die Produktion vieler Güter – zum Beispiel von Autos – ist entsprechend geringer. Die Treibhausgas-Emissionen sind in vielen Teilen der Welt zeitweise um bis zu 25 Prozent geringer ausgefallen als normal.

Treibstoff aus Sonnenlicht und Luft

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Legende: SRF

Das ETH-Spin-off Synhelion entwickelt sogenannte Solar-Reaktoren. Dabei wird Sonnenlicht zum Beispiel in Spiegeln, die Parabolantennen gleichen, gebündelt. Die dadurch erzeugten hohen Temperaturen – rund 1500 °C – stossen eine thermochemische Reaktion an. Wasser (H2O) und CO2, das zuvor der Umgebungsluft entnommen wurde, werden gespalten. Übrig bleibt Synthesegas, eine Mischung aus Wasserstoff (H2) und Kohlenmonoxid (CO), das sich zu Benzin oder Kerosin verflüssigen lässt.

Mit dem solaren Treibstoff können herkömmliche Autos oder Flugzeuge direkt betankt werden. Dabei wird bei der Verbrennung nur so viel CO2 frei, wie zuvor der Luft entnommen wurde. Das macht den Treibstoff CO2-neutral. Synhelion hat derzeit verschiedene Pilotprojekte in unterschiedlichen Ländern am Laufen. Bis in zwei Jahren soll ein Zwischenschritt auf dem Markt sein – ein mit solarem Treibstoff angereicherter fossiler Treibstoff, der den Treibhausgas-Ausstoss eines Flugzeugs beispielsweise immerhin um 50 Prozent reduziert. Bis der vollständig CO2-neutrale Solartreibstoff marktfähig sein wird, wird es noch mehrere Jahre dauern. Für die Bündelung des Sonnenlichts sind riesige Spiegelfelder nötig.

Um die gesamte Flugtreibstoff-Nachfrage decken zu können, müsste etwa die Fläche der Schweiz mit Sonnenspiegeln bedeckt werden. Die Corona-Pandemie spürt das junge Unternehmen in zweierlei Hinsicht: Einerseits sind Zeitpläne durcheinander gekommen, Versuche mussten ausgesetzt werden. Andererseits sei das Interesse der Investoren nochmals gestiegen, betont Synhelion-Chef Gianluca Ambrosetti im Gespräch.

Reto Knutti relativiert jedoch. Dieser Rückgang habe keinen spürbaren Einfluss aufs Klima. Um den Klimawandel zu stoppen, muss die Welt den Treibhausgasausstoss langfristig reduzieren, beziehungsweise, wie im Pariser Klimaabkommen von 2015 vorgesehen, in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts – besser früher – auf Netto-Null senken.

Lehren ziehen aus der Pandemie für die Klimakrise

«Wir könnten lernen aus der Coronakrise» meint der Klimaforscher. Auch der Klimawandel sei ein Problem, dass die ganze Menschheit betreffe und das deshalb nur gemeinsam gelöst werden könne. Eine ähnlich vehemente Reaktion wie im Umgang mit der Pandemie sei gefragt gegen den Klimawandel, betont Reto Knutti.

Die Klimakrise sei aber viel langfristiger. Ein Lockdown bringe nichts – im Gegenteil: «Wir können nicht die Leute zu Hause lassen und die Wirtschaft zu Boden bringen, um das Klima zu retten.» Vielmehr müsste die Staatengemeinschaft dafür sorgen, dass künftig Energie klimafreundlich produziert und der CO2-Ausstoss eliminiert wird.

Wer zu lange wartet, den trifft es hart.
Autor: Reto Knutti Klimaforscher ETH

Reto Knutti hofft, dass sich die Gesellschaft durch die Pandemie bewusst wird, wie gefährlich es ist, wenn die Fakten klein geredet oder ignoriert werden. «Wir haben gesehen, dass man mehr Spielraum hat, wenn man frühzeitig handelt. Wer zu lange wartet, den trifft es hart. Das sehen wir gerade wieder in verschiedenen Ländern, wo die Corona-Zahlen wieder steigen.»

Lässt sich die Klima-Katastrophe noch abwenden?

Wie schwierig das frühzeitige Handeln im konkreten Fall ist, zeigen die äusserst zähen Verhandlungen, die die 27 EU-Staaten geführt haben, bis sie sich auf ein Wiederbelebungspaket für die Wirtschaft geeinigt haben. Forderungen, dass nur Staaten Finanzhilfe erhalten, die sich zum Ziel bekennen, bis 2050 klimaneutral zu werden, wurden weich gewaschen. Immerhin sind rund ein Drittel der 750 Milliarden Euro Hilfsgelder an konkrete Umweltbedingungen geknüpft.

Kann die Menschheit die Klima-Katastrophe noch abwenden? «Was ich glaube, ist nicht relevant», sagt Knutti. «Wir könnten es. Wir hätten die Möglichkeiten technisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Aber es braucht politischen und gesellschaftlichen Willen. Die Entscheidungen, die wir heute treffen werden, die werden bestimmen, wo wir am Schluss landen.»

Trend, 25.7.2020, 8:13 Uhr

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