Zum Inhalt springen

Neuer Blick auf das Alter Alt und schwach? Von wegen!

«Die Alten» gibt es nicht, sagt ein Altersforscher – und fordert eine differenziertere Wahrnehmung betagter Menschen.

Das Pandemie-Jahr 2020 hat auch die Solidarität zwischen den Generationen auf die Probe gestellt. Ältere Menschen mussten vor allem zu Hause bleiben, die jüngeren mussten sich einschränken, um ältere Leute zu schützen. Und generell heisst es, die Gesundheitskosten würden immer weiter steigen, weil wir immer älter werden.

Doch alt heisst nicht unbedingt schwach und krank. Ein Altersforscher der Universität Zürich plädiert dringend für einen anderen Blick auf die Seniorinnen und Senioren.

Gewaltige Unterschiede

Etwas habe ihn besonders gestört dieses Jahr, sagt Altersforscher Mike Martin, Professor für Gerontopsychologie an der Universität Zürich, und zwar der undifferenzierte Blick der Gesellschaft auf die Seniorinnen und Senioren. Denn die alten Menschen seien keine homogene Gruppe.

Rentnerinnen und Rentner können den Weltrekord über 100 Meter in ihrer Altersklasse halten und gleichzeitig mehrere chronische Krankheiten haben.
Autor: Mike Martin Altersforscher

Die Unterschiede in einer Altersgruppe, die von 65 bis 115 Jahre reicht, seien riesig: «Zum Beispiel aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen, Bedürfnisse oder auch Fähigkeiten und Eigenschaften, die diese Personen mitbringen.» Und heute gebe es unter den älteren Menschen sehr viele, die nicht schwach und krank, sondern vital seien.

Auf die Leistungsfähigkeit der Rentnerinnen und Rentner sollten wir den Fokus legen und nicht auf ihre Krankheiten, sagt Altersforscher Martin: «Sobald man den Blick auf diese Funktionalität richtet, sieht man, dass das genau dieselben Personen sind: Sie können den Weltrekord über 100 Meter in ihrer Altersklasse halten und gleichzeitig mehrere chronische Krankheiten haben. Das ist also gar kein Widerspruch.»

Seniorinnen einer Theatergruppe
Legende: Betagt und mitten im Leben: Wie diese beiden Frauen, die bei einer Theatergruppe für Seniorinnen mitmachen. Keystone/Symbolbild

Wenn man also darauf fokussiere, was Alte noch leisten könnten, gewinne man einen positiveren Blick auf sie – und habe automatisch mehr Verständnis für ihre Bedürfnisse. Etwa Verständnis für ihr Bedürfnis nach Bildung.

Ein Beispiel dafür seien die Seniorenuniversitäten, sagt Martin, der Präsident der Zürcher Seniorenuniversität ist: Rund 16'000 ältere Menschen besuchten regelmässig Vorlesungen der neun Seniorenuniversitäten der Schweiz. Dies zeige, wie ausgeprägt das Bedürfnis nach Bildung bei vielen Rentnerinnen und Rentnern sei.

Zoom-Meetings für Ü80? Das geht

Das Beispiel eigne sich auch gut, um die geistige Fitness der Seniorinnen und Senioren zu illustrieren: Denn wegen der Corona-Pandemie mussten dieses Jahr auch die Seniorenuniversitäten auf Fernunterricht umstellen. Online-Vorträge für 70-Jährige und Zoom-Meetings für 80-Jährige: Geht das?

Ja, die Umstellung habe gut funktioniert, sagt Martin: «Wie wir gemerkt haben, zieht es manche Personen zusätzlich an, die wir vorher nicht erreicht haben. Langfristig gesehen hat es einen Digitalisierungsschub in der Bildung für Personen über 65 gegeben.»

Denn es stimme längst nicht mehr, dass Menschen über 75 keine Ahnung vom Internet hätten. Gerade das Beispiel der Online-Kurse der Seniorenuniversität zeige, dass eine grosse Zahl der Rentnerinnen und Rentner heute auch technisch fit sei; dieses differenzierte Bild der Seniorinnen und Senioren möchte Altersforscher Martin vermitteln.

Rendez-vous vom 04.01.2020, 12:30 Uhr

Meistgelesene Artikel