- Schweizer Ärztinnen und Ärzte arbeiten oft bis zu zwölf Stunden am Tag.
- Nur gerade 90 Minuten davon verbringen sie laut einer Studie beim Patienten.
- Weil immer mehr Ärzte wegen dieser hohen Belastung durch administrative Arbeiten frustriert sind, überdenken immer mehr Spitäler ihre internen Strukturen.
- Das Spital Thun und die Insel in Bern setzen spezielle Koordinatoren ein, die sich um Administratives kümmern und den Ärzten so mehr Zeit für Patienten verschaffen.
Seit die Spitäler mit Fallkostenpauschalen abrechnen, müssen Behandlungen und Medikamente ganz genau erfasst werden. Eine komplizierte und aufwändige Abrechnung, sagt Jürg Unger von der Schweizer Ärzteverbindung FMH: «Dies kann nicht mehr eine einfache Bürokraft erfassen. Das braucht spezielles Wissen.» Spezielles Wissen, das die Assistenzärzte mitbringen. Und so sitzen diese dann stundenlang am Computer, statt am Patientenbett zu stehen.
Da die Assistenzärzte früher leicht verfügbar waren, hat man nicht lange nachgedacht und immer gesagt, ‹das macht jetzt der Assistenzarzt›.
Wie eine umfassende Studie an den Spitälern Lausanne und Baden jüngst zeigte, sind es nur gerade 90 Minuten pro Tag, die Assistenzärzte direkt beim Patienten verbringen. Simon Frey ist Assistenzarzt am Kantonsspital Baden. Er leitete die Untersuchung dort. Seiner Meinung nach ist der Handlungsbedarf offensichtlich: «Man sieht, dass man die Zeit für Administration und Informationsbeschaffung zum Teil delegieren könnte, an Personen, die nicht ärztlich ausgebildet sind.»
Mit Traditionen brechen, Aufgaben neu verteilen
Auch Jürg Unger von der FMH plädiert dafür, dass die Aufgabenteilung in den Spitälern überdacht wird. «Es gibt eine Tradition in der Medizin. Da die Assistenzärzte früher leicht verfügbar waren, hat man nicht lange nachgedacht und immer gesagt, ‹das macht jetzt der Assistenzarzt›.» Die Zeiten hätten sich aber stark geändert: «Unsere Assistenzärzte werden zu einer raren Ressource, die man sorgfältig einsetzen muss.» Deshalb müsse man sich jetzt genau überlegen, wo und wie man sie im Berufsalltag entlasten könne.
Care-Koordinatoren sind direkt am Patientenbett, sie kommen mit auf Visite und sie nehmen die Aufträge direkt von den Ärzten entgegen.
Auch die klassische Arbeitstrennung zwischen Arzt und Pflege müsse aufgebrochen werden, und ergänzt werden durch eine neue Funktion, die sich auf die Administration konzentriert, so Unger weiter. Tatsächlich denken mehrere Schweizer Spitäler an einem neuen Berufsbild herum – oder haben es schon eingeführt. Thun etwa, Baden oder das Inselspital in Bern. In letzterem hat man nach einem Pilotprojekt nun drei sogenannte Care-Koordinatorinnen eingeführt.
Entlastung durch 80 Prozent weniger Büroarbeit
Die Aufgaben der speziell ausgebildeten Care-Koordinatorinnen gingen weit über jene einer normalen Arztsekretärin hinaus, so Projektleiterin Maria Wertli. «Sie sind direkt am Patientenbett, sie kommen mit auf Visite und sie nehmen die Aufträge direkt von den Ärzten entgegen.» Die Rückmeldungen der Ärzte in Bern seien sehr positiv: «Wir haben unsere Assistenzärzte befragt, und sie haben uns zurückgemeldet, dass sie einen sehr grossen Teil ihrer administrativen Aufgaben – fast 80 Prozent davon – abgeben konnten. Sie fühlten sich stark entlastet.»
Fast 80 Prozent weniger Administration – das gibt sehr viel mehr Spielraum, um sich um den Patienten zu kümmern, statt um dessen Akten. Dass die Spitäler vermehrt auf sogenanntes nicht-ärztliches Personal setzen, sei schweizweit ein Trend, sagt Wertli. Die Bezeichnungen unterscheiden sich: Care-Koordinatorin, «Residents Assistant» oder klinische Assistenz.
Kosten und Nutzen noch nicht systematisch erfasst
Die Idee dahinter ist aber überall die gleiche: Die Ärzte von der Administration entlasten. Zwar entstehen dadurch zusätzliche Stellen im Spital. Dennoch könnten die neuen Strukturen dazu beitragen, Kosten im Gesundheitswesen einzusparen – weil die Behandlungszeit im Spital sinkt und weil die Care-Koordinatorinnen günstiger sind als die Ärzte.
Das Berner Inselspital plant eine systematische Kostenerhebung. Eine Schätzung zum Sparpotenzial oder einem möglichen Kostenanstieg gibt es aber noch keine.