- Der Ständerat hat die Neutralitätsinitiative nach langer Debatte abgelehnt. Er will somit kein Verbot von Sanktionen auf Verfassungsebene.
- Er sprach sich aber für einen direkten Gegenvorschlag aus und will die dauerhafte, bewaffnete Neutralität in der Bundesverfassung festschreiben.
Der Ständerat verwarf die Volksinitiative «Wahrung der schweizerischen Neutralität (Neutralitätsinitiative)» mit 35 zu 8 Stimmen ohne Enthaltungen. Mit 27 zu 15 Stimmen bei einer Enthaltung stimmte die kleine Kammer aber einem alternativen Verfassungstext zu.
Neutralität kein Selbstzweck
Dem Entscheid des Ständerats ging eine rund dreistündige Debatte voraus. Die Mehrheit vertrat die Ansicht, die seit 175 Jahren geltende Neutralitätspraxis sei kein Selbstzweck, sondern ein aussenpolitisches Instrument.
Mit dem geforderten Schematismus hinsichtlich Sanktionen würde das Bekenntnis zum Völkerrecht zum reinen Lippenbekenntnis unter dem Deckmantel der Neutralität, sagte Kommissionssprecher Matthias Michel (FDP/ZG). Zudem sei eine inhaltliche Festschreibung der Neutralität in der Verfassung schwierig.
Auch Tiana Angelina Moser (GLP/ZH) warnte vor der Initiative: «Mit dem neuen Artikel würde sich die Schweiz selbst Fesseln anlegen.» Der Fall der Ukraine zeige, dass Sanktionen im Interesse der Schweiz sein könnten.
Franziska Roth (SP/SO) sagte, wer die Haltung der Schweiz so wie die Initianten gestalten wolle, brauche sich über gewisse Dinge, die im Ausland passierten, nicht mal mehr Gedanken zu machen. Zudem sei der Titel irreführend: «Es geht nicht um die Neutralität, sondern um ein fast totales Sanktionsverbot.»
Für ein Ja trat neben den SVP-Ständeräten Hannes Germann (SH) und Marco Chiesa (TI) auch der Sozialdemokrat Daniel Jositsch (ZH) ein. Die Berufung auf die Vereinten Nationen gebe der Schweiz ausreichend Handlungsspielraum bei der Sanktionspolitik, argumentierte Germann. Er verwies namentlich auf die Bestimmung zur Verhinderung von Umgehungsgeschäften. Weiter wurde er grundsätzlich: «Sogar die Kuhhörner haben den Weg in die Verfassung gefunden. Wieso sollte das die Neutralität nicht auch verdient haben?»
«Wenn wir neutral sind, dann müssen wir es auch sein», appellierte Jositsch an den Rat. Neutralität sei anders als vom Bundesrat behauptet, kein wandelbares Instrument. Sanktionen bedeuteten eine Parteinahme, sofern sie nicht weltweit gälten.
Eine starke Minderheit der vorberatenden Ständeratskommission wollte zwar das erste Anliegen der Initianten aufnehmen, nicht aber das Sanktionsverbot. Der Rat folgte diesem Vorschlag schliesslich.
Vorteil im Abstimmungskampf
Nebst Jositsch und Germann setzen sich mit Benedikt Würth (SG), Pirmin Bischof (SO) und Isabelle Chassot (FR) auch drei Mitglieder der Aussenpolitischen Kommission aus der Mitte-Partei für dieses Vorhaben ein. Die Neutralität sei in der Schweiz in allen politischen Lagern verankert, sagte Würth mit Verweis auf eine aktuelle Umfrage.
Zugleich finde eine Mehrheit der Bevölkerung die Sanktionen gegen Russland wegen des Kriegs in der Ukraine richtig. Das sei das Konzept des Gegenvorschlags. Ein neuer Verfassungsartikel verhindere auch «tagespolitische Schnellschüsse» und erleichtere die Argumentation im kommenden Abstimmungskampf, sagte Würth. Man solle den Stimmenden die Möglichkeit geben, sich differenziert auszudrücken.
Der Bundesrat trat dafür ein, die Initiative ohne Gegenvorschlag abzulehnen. Als Nächstes muss der Nationalrat über die Initiative befinden.