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Nothilfe - für ein Leben auf dem Abstellgleis
Aus Echo der Zeit vom 14.05.2019. Bild: SRF. Max Akermann.
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Nothilfe in der Schweiz Wenn das Geld nicht einmal für das Nötigste reicht

3000 Personen beziehen in der Schweiz Nothilfe. Die Lage sei äusserst prekär, berichten betroffene Flüchtlinge.

In der Schweiz beziehen 3000 Personen Nothilfe. Es sind Menschen, die in der Schweiz bleiben, obwohl ihre Asylgesuche abgelehnt worden sind und sie einen rechtskräftigen Wegweisungsentscheid haben. Entweder können sie objektiv nicht in ihr Heimatland zurück oder sie fürchten sich vor einer Rückkehr so sehr, dass sie ein Leben am Rand der Schweizer Gesellschaft vorziehen.

Sie dürfen nicht arbeiten, meist nicht einmal gratis. Sie erhalten ein Dach über dem Kopf, medizinische Grundversorgung und je nach Kanton 4 bis 12 Franken pro Tag für alles andere: Essen, Kleidung, Transport und Freizeit.

Eine Nothilfe-Bezügerin ist die 35-jährige Eritreerin Almaz Yemane. Zusammen mit anderen lernt sie Deutsch im reformierten Kirchgemeindehaus Hinterkappelen bei Bern. «Deutsch ist eine sehr schwierige Sprache.»

Vor 5 Jahren ist sie in die Schweiz geflüchtet. Ihr Asylgesuch und später ein Rekurs wurden abgewiesen. Damit hat sie keinen Anspruch mehr auf staatlich finanzierte Ausbildung und darf auch nicht arbeiten.

Leute an Tisch.
Legende: Im Kirchgemeindehaus Hinterkappelen lernen die Personen Deutsch. SRF/Max Akermann

Laut den Schweizer Behörden wäre für Yemane die Rückkehr nach Eritrea «möglich, zulässig und zumutbar», so wie es das Gesetz verlangt. Darum wurde eine Wegweisung verfügt. Durchsetzen lässt sich diese aber nicht, weil Eritrea seine Bürger nur zurücknimmt, wenn sie freiwillig zurückreisen.

Wie Hunderttausende ihrer Landsleute hat Yemane eine gefährliche Flucht auf sich genommen und lässt sich nicht zur Rückkehr bewegen, obwohl ihre Lebensumstände in der Schweiz prekär sind.

Langzeit Nothilfe beziehen vor allem Personen aus Eritrea und Tibet. Sie würden gezwungen, ein Leben zu führen, das diesen Namen kaum mehr verdiene, empört sich Laurence Gygi, Migrationsbeauftragte der Kirchgemeinde Wohlen: «Das macht wütend und es beschämt mich, dass ich Bürgerin eines Staates bin, der Politik auf Kosten der Schwächsten betreibt.»

Porträt Mario Gattiker.
Legende: Mario Gattiker, Direktor des Staatssekretariats für Migration (SEM). Keystone

Alles sei rechtsstaatlich korrekt, kontert das Staatssekretariat für Migration (SEM). Viele Asylbewerber, deren Gesuch abgelehnt worden sei, würden vorläufig aufgenommen. Nur wessen Rückführung wirklich vertretbar sei, werde von der verhältnismässig grosszügigen Sozialhilfe auf die minimale Nothilfe zurückgestuft.

Verschärfte Praxis des SEM

Ziel dieser Massnahme ist, die Schweiz für Personen ohne Asylgründe weniger attraktiv zu machen und sie so zu zwingen, ihrer Ausreisepflicht nachzukommen. Für Gygi äusserst zynisch: «Ich hoffe, dass das legal ist, aber es ist nicht recht.»

Der Bund hat seine Praxis gegenüber Asylsuchenden aus Eritrea verschärft. 2017 und 18 wurden je rund 1000 Asylgesuche von Eritreern abgelehnt, ohne diese vorläufig aufzunehmen. Das sind rund fünf Mal mehr als in den Jahren zuvor.

Die meisten Betroffenen landen direkt in der Nothilfe. Viele tauchen aber ab oder versuchen im nahen Ausland ihr Glück. Früher oder später werden sie aber als sogenannte Dublin-Fälle in die Schweiz zurückgeschoben.

Männer mit Flagge.
Legende: Die Langzeitbeziehenden von Nothilfe stammen vor allem aus Eritrea und dem Tibet. Keystone

Gygi hofft, dass das neue Asylgesetz mit den stark verkürzten Verfahren zum Anlass genommen würde, alte Fehler zu korrigieren: «Leute, die fünf Jahre oder länger in der Schweiz sind, nie kriminell wurden, einen nicht durchsetzbaren Wegweisungsentscheid oder ein offenes Verfahren haben, sollen einen Aufenthaltstitel erhalten.»

Davon würden auch Yemane und Tesfay profitieren. Die beiden Eritreerinnen haben einen Wunsch: «Arbeiten und Deutsch lernen.»

Sozialhilfestopp und Nothilfe

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  • Welche Ziele verfolgt der Sozialhilfestopp? Die Schweiz soll weniger attraktiv sein für Personen ohne Asylgründe und weggewiesene Personen sollen ihrer Ausreisepflicht schneller nachkommen. Der Sozialhilfestopp soll für den Asylbereich Kosteneinsparungen bringen.
  • Wie viel beträgt die Nothilfe für ausreisepflichtige Personen und wie lange wird diese ausgerichtet? Für die Ausrichtung der Nothilfe sind die Kantone zuständig. Die einzelnen Leistungen sind kantonal unterschiedlich. Werden Geldleistungen ausgerichtet für den täglichen Bedarf, betragen diese höchstens 10 Franken pro Person und Tag. Gemäss Art. 82 Abs. 4 AsylG soll Nothilfe aber nach Möglichkeit in Form von Sachleistungen erfolgen. Die Nothilfe wird so lange bezahlt, wie die Person sich in einer Notlage befindet.
  • Sind Nothilfebeziehende krankenversichert? Die nothilfeberechtigten Personen sind bis zur Ausreise aus der Schweiz obligatorisch krankenversichert und haben damit Zugang zu allen Pflichtleistungen des Krankenversicherungsgesetzes.
  • Warum arbeiten Nothilfebeziehende nicht, um ihre Notlage zu mindern oder zu beseitigen? Gemäss Art. 43 Abs. 2 AsylG unterstehen Nothilfebeziehende einem Arbeitsverbot. Bei Nothilfebeziehenden stehen die freiwillige Ausreise oder der Vollzug der Wegweisung im Vordergrund und bei Personen mit einem Mehrfachgesuch schnelle und korrekte Behandlung ihres Asylgesuchs. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ist nicht erwünscht, um den betroffenen Menschen keine Aufenthaltsperspektive zu vermitteln.
  • Gibt es für Nothilfebeziehende Beschäftigungsprogramme? Einzelne Kantone bieten Beschäftigungsprogramme (BP) für Ausreisepflichtige an. Solche BP sind laut SEM systemkonform nur bei klarer und ausschliesslicher Rückkehrorientierung. BP bei denen es primär um die Schaffung einer Tagesstruktur geht oder um einen Zusatzverdienst sind mit Blick auf eine angestrebte freiwillige Ausreise kontraproduktiv. Damit entsprechen BP nicht den Zielen des Sozialhilfestopps.
  • Warum gibt es Langzeitbeziehende von Nothilfe?
  1. Fehlender Vollzugsdruck wegen mangelnder Kooperation der Zielländer.
  2. Vollzugsaussetzungen oder -versäumnisse.
  3. Keine Anwendung von Zwangsmassnahmen wegen Verletzlichkeit der Ausreisepflichtigen.
  4. Nachhaltige Renitenz der Ausreisepflichtigen.
  5. Kein klarer Schnitt beim Wechsel von Asyl-Sozialhilfe zu Nothilfe und in der Folge eine höhere Bereitschaft für den weiteren Verbleib in der Schweiz.
  6. Einfluss von Drittpersonen und die Anonymität von Städten und Grossagglomerationen. Sie begünstigen ein vorübergehendes Untertauchen bei Vollzugsgefahr.

(SEM)

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