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Novum in der Sozialbranche Sozialunternehmen bezahlt künftig freiwillig Steuern

Die Solothurner Genossenschaft Vebo verzichtet nach Druck der Wirtschaft auf die Steuerbefreiung. Schafft der Sozialbetrieb einen Präzedenzfall, der auch andere Sozialbetriebe treffen könnte?

Steuern bezahlen, das gehört für einige Menschen und Firmen zu den eher unangenehmen Verpflichtungen. Kaum jemand würde wohl ganz freiwillig Steuern abliefern. Genau das macht jetzt aber die Genossenschaft Vebo. Das grosse Sozialunternehmen aus dem Kanton Solothurn verzichtet ab nächstem Jahr auf die Steuerbefreiung – ein schweizweites Novum in der Sozialbranche.

Genossenschaft Vebo: Eine Firma – oder doch nicht?

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Die Vebo wurde 1964 als Verein gegründet und später in eine Genossenschaft umgewandelt. Ziel und Zweck ist es, Menschen mit Behinderung zu fördern und in Wirtschaft und Gesellschaft zu integrieren. Die Vebo bietet unter anderem Wohnen, Ausbildung und Arbeiten für Menschen mit einer Behinderung an. Über die Jahre wuchs der Betrieb konstant.

Heute beschäftigt die Vebo an acht Standorten im Kanton Solothurn knapp 1800 Personen, 80 Prozent davon mit einer Beeinträchtigung. Damit gehört sie zu den grössten Arbeitgebern im Kanton. Auch finanziell ist die Vebo ein gewichtiger Akteur. Pro Jahr macht die Genossenschaft rund 80 Millionen Franken Umsatz. Etwa die Hälfte davon kommt von der öffentlichen Hand, da die Vebo im Auftrag der Kantone oder der Invalidenversicherung verschiedene Leistungen übernimmt.

Daneben bewegt sich die Vebo aber auch auf dem freien Markt in der Produktion und bietet als «hybrides Unternehmen» verschiedene Dienstleistungen an. Unter anderem führt die Vebo eine Gärtnerei, eine Druckerei, eine mechanische Werkstätte, eine Bio-Bäckerei inklusive Verkaufsladen und eine Gastro-Abteilung. Als gemeinnütziges Unternehmen bezahlte die Vebo bis jetzt allerdings keine Steuern für die hier erzielten Gewinne.

Den Entscheid, künftig freiwillig Steuern zu bezahlen, macht die Genossenschaft nicht ganz freiwillig. In den letzten Jahren gab es zunehmend Druck der Solothurner Wirtschaft. Der Gewerbeverband warf der Vebo in einer Kampagne vor, das private Gewerbe unfair zu konkurrenzieren. Eine Institution, die von der öffentlichen Hand getragen werde und keine Steuern zahle, dürfe nicht so offensiv am Markt auftreten.

Wir wollen ein fairer Wettbewerber sein.
Autor: Marco Eggimann Direktor Vebo

In einer Mitteilung gesteht Marc Eggimann, Direktor der Vebo, ein, dass sich sein Betrieb stark verändert habe in den letzten Jahren. Von der Institution mit geschützten Werkstätten und Wohnheimen sei man zum modernen wettbewerbsfähigen Unternehmen geworden, das auch in der offenen Wirtschaft bestehen kann und will, ohne dass aber der soziale Zweck und Auftrag darunter leidet.

Deshalb gebe die Vebo nun auch die Steuerbefreiung freiwillig auf und werde wohl künftig pro Jahr ungefähr 200'000 Franken an den Kanton abliefern. Eggimann sagt gegenüber SRF: «Wir haben den Anspruch, den anderen Marktbegleitern ein fairer Wettbewerber zu sein. Dazu gehört, dass wir einen Teil unserer Aktivitäten wie die anderen versteuern.»

Allerdings solle dieser Schritt keinesfalls ein Präzedenzfall für andere Betriebe sein, betont der Vebo-Direktor. Die Vebo sei im Vergleich zu anderen Sozialfirmen der Schweiz wohl ein Sonderfall, grösser als der Durchschnitt und auch ertragsstärker.

Andere Sozialbetriebe können gar keine Steuern zahlen

Vergleiche zwischen Sozialinstitutionen über die Kantonsgrenzen hinaus sind schwierig, die kantonalen Sozialsysteme unterscheiden sich zum Teil stark. Eine Umfrage von SRF bei verschiedenen Unternehmen aus der Branche zeigt aber, dass nach dem Vebo-Entscheid nun kaum alle Sozialbetriebe unter Druck geraten, ebenfalls Steuern abliefern zu müssen.

Bei der ebenfalls steuerbefreiten Stiftung Züriwerk, der grössten Sozialinstitution im Kanton Zürich, heisst es auf Anfrage, man könne schlicht keine Steuern zahlen. Die Stiftung sei viel kleiner als die Solothurner Vebo und erwirtschafte gar nicht genug Ertrag, damit eine Versteuerung Sinn machen würde.

Valida, das grösste Sozialunternehmen im Kanton St. Gallen, erklärt auf Anfrage, das System für Sozialfirmen in St. Gallen lasse eigentlich gar keine Versteuerung zu. Sämtliche erzielten Gewinne müsse Valida sowieso dem Kanton abliefern. Daher gebe es gar nichts, das versteuert werden könnte.

Und auch bei Insos, dem nationalen Branchenverband für Sozialunternehmen, glaubt man nicht, dass der Vebo-Entscheid künftig freiwillig Steuern zu zahlen, eine grosse Signalwirkung haben wird. Zwar kenne man bisher keinen anderen Fall, schreibt Insos auf Anfrage. Aber die Rahmenbedingungen und Betriebe seien individuell so verschieden, dass man die Steuerbefreiung stets im Einzelfall anschauen muss. Und natürlich stehe immer der soziale Auftrag im Vordergrund, dieser dürfe nicht gefährdet werden.

SRF1 Regionaljournal Aargau Solothurn 25.08.22, 17:30 Uhr ; 

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